In Tonga

Nur 250 Seemeilen sind es von Niue nach Neiafu, Einklarierungshafen und einzige Stadt der zu Tonga
gehörenden Inselgruppe Vava’u. Wir sind am 18. September gestartet und kommen zwei Tage später
am 21. September an: Zwischendurch haben wir die Datumsgrenze überquert – der 20. September
2017 fehlt in unserem Leben. Der Wind ist mau, die See kabbelig, immerhin können wir den
überwiegenden Teil der Strecke segeln. Vor der Küste von Vava’u, die wir in den frühen
Morgenstunden erreichen, blasen Wale – ein Bild, das uns die nächsten zwei Wochen in den
Gewässern um Tonga ständig begleiten wird.

 

 

Vava’u ist ein beliebter Zwischenstopp im westlichen Pazifik. Der Naturhafen von Neiafu am Ende eines fjordähnlichen Kanals ist geschützt wie ein Binnensee und immer gut belegt mit Segelyachten, es gibt sogar eine kleine Charterbasis. Wir haben Glück und ergattern eine freie Mooring.

Bis heute schmückt sich Tonga mit dem Prädikat „die freundlichen Inseln“, das James Cook dem Land
verliehen hat – und verschweigt dabei gerne, dass Cooks geplante Ermordung nur deshalb nicht
stattfand, weil man sich über die Tageszeit des Angriffs nicht einigen konnte und er weiter segelte,
bevor eine Entscheidung getroffen war.

 

 

Aber das ist mehr als 200 Jahre her. Die heutigen Nachfahren sind liebenswerte, aufgeschlossene Menschen, die Besuchern das Gefühl geben, willkommen zu sein – dies trifft auch auf die Beamten zu, die die Einklarierungsformalitäten erledigen. Dass alles recht lange dauert und unzählige Formulare auszufüllen sind, nimmt man am besten mit der Gelassenheit der Einheimischen hin – ändern lässt es sich ohnehin nicht.

Neiafu mit seinen Kneipen und Cafés, in denen sich die „Yachties“ aus aller Welt treffen, hat ein fast
kosmopolitisches Flair.

 

 

Es gibt aber auch einen kleinen lokalen Markt, auf dem wir uns mit Gemüse eindecken können.

 

 

In einem verwinkelten Haus entdecke ich den Friseur, den ich von unserem Besuch vor sechs Jahren noch in guter Erinnerung habe, eine gut gestylte und geschminkte männliche Lady. Männliches Cross-Gender-Verhalten ist in Ozeanien traditionell weit verbreitet; auch in Tonga werden die sogenannten Fakaleitis, zu denen Jungen erzogen werden, wenn Mädchen als Hilfe im Haushalt fehlen, gesellschaftlich vorbehaltlos geachtet.

 

 

Direkt neben „Alumni“ liegt die „Kalibu“ mit Birgit, Thomas und ihren beiden Kindern Zoë und
Leonard, die wir erstmals vor fast zwei Jahren in Mar del Plata/ Argentinien und später tief unten im
patagonischen Süden getroffen haben. Wir verbringen einen vergnüglichen, lebhaften Abend
zusammen. Leonard ist laut Segelblog der „Kalibu“ (www.sykalibu.de) der Experte für „experimentelle Küche“ an Bord, gerade entwickelt er ein neues Rezept für Ananas-Joghurt-Eis, und wir tragen gerne mit dem Bereitstellen von Gefrierkapazität in unserer Tiefkühlbox zum Gelingen des Versuchs bei. Wieder einmal sind wir beeindruckt, wie positiv sich eine Weltumsegelung in diesem Alter auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirkt.

Am nächsten Morgen machen wir mit dem Taxi eine lohnende Rundfahrt über Vava’u. Von
verschiedenen Punkten haben wir herrliche Ausblicke auf das Labyrinth dicht bewaldeter Inseln und
Inselchen, auf Korallenriffe, Buchten und Lagunen.

 



 

Nachmittags verlegen wir uns in die nur wenige Meilen entfernte, schöne Bucht von Port Maurelle,
die jedoch mittlerweile alles andere als ein Geheimtipp ist.

 

 

Am nächsten Tag lichten wir den Anker gegen 17 Uhr, um bei Tageslicht in der Inselgruppe Ha’apai anzukommen. Bei vier Windstärken und ruhiger See haben wir eine bequeme Überfahrt hoch am Wind.

Die Ha’apai-Gruppe im Zentrum des Tonga-Archipels besteht aus knapp 40 überwiegend
unbewohnten Inseln, zahllosen – fast immer unmarkierten und schlecht kartografierten –
Korallenriffen und Sandbänken, die eine aufmerksame Navigation erfordern. Wer bereits in Vava’u
meint, dass die Zeit dort langsamer vergeht als an anderen Stellen der Erde, hat hier den Eindruck,
dass sie vollends zum Stillstand gekommen ist. Man trifft nur wenige andere Boote – die meisten
segeln in großem Bogen an der abgeschiedenen Inselgruppe vorbei. Und doch haben die „üblichen
Verdächtigen“, auf die man immer wieder stößt, wenn man sich mit der Geschichte der Südsee
befasst, auch hier ihre Spuren hinterlassen: Erster europäischer Besucher in der Mitte des 17.
Jahrhunderts war Abel Tasman, mehr als 100 Jahre später kam James Cook. Gut 10 Jahre später war
es dann Fletcher Christian, der Kapitän William Bligh von der Bounty mit einem Teil der Mannschaft
in einem Ruderboot vor einer der Ha’apai-Inseln aussetzte.

Wir verbringen eine schöne Segelwoche in diesem abwechslungsreichen Revier und hüpfen von
Ankerplatz zu Ankerplatz. Wechselhaft ist auch das Wetter, aber insgesamt besser, als wir es bei
unserem letzten Besuch erlebten. Manchmal ändern sich die Bedingungen so schnell, dass es der Crew nicht gelingt, sich bis zum nächsten Manöver auf die angemessene Segelkleidung zu verständigen.

 

Klein und unabhängig (nie kolonialisiert): Tonga, die Schweiz der Südsee

 

Zur Unterhaltung tragen die vielen Buckelwale bei; praktisch in jedem Moment sieht man irgendwo einen großen Wal blasen, hochspringen oder mit der Flunke aufs Wasser schlagen, meist dicht gefolgt von einem ihm nacheifernden Jungtier – manchmal in größerer Entfernung, ab und zu in unmittelbarer Nähe.

 

Auch Rückenschwimmen gehört zur Morgengymnastik bei Familie Wal

 

Für ein paar Tage ist Westwind mit schweren Gewittern angesagt. Bei dieser Wetterlage bieten nur
wenige Ankerplätze in Ha’apai Schutz, wie der vor der kleinen Insel O’ua, den uns unser
neuseeländischer Freund John empfohlen hat. Mit seinen Wegepunkten finden wir leicht die nicht kartografierte schmale Einfahrt in das brandungsgesäumte Riff, von der wir uns wie in ein Schneckenhaus zu einer kleinen Lagune vortasten.

 

 

Umgeben von Korallenriff und Insel liegen wir gegen den sich aufbauenden Seegang bestens geschützt, auch wenn bei Hochwasser das Riff überspült wird und man den Eindruck hat, auf dem offenen Meer zu ankern. Nachts geht das angekündigte Gewitter mit heftigen Sturmböen und sintflutartigen Regenschauern über uns weg; vor 50 Meter Ankerkette drehen wir uns mit dem Wind um nahezu 270 Grad und benötigen die gesamte Lagune als Schwojkreis – gut, dass wir allein sind und uns nicht mit anderen Booten arrangieren müssen. Der Ankergrund besteht aus einem gut haltenden, zähen Ton – trotzdem gehen wir Ankerwache, bis der Spuk nach einigen Stunden vorbei ist.

Am nächsten Morgen strahlt die Sonne wieder vom Himmel. Im Radio wird über die schweren
„thunderstorms“ der vergangenen Nacht und die Schäden, die sie auf den Ha’apai-Inseln hinterlassen
haben, ausführlich berichtet. Um ein Gefühl für die Großwetterlagen an unserem Endziel Neuseeland
zu bekommen, hören wir seit einiger Zeit auch die Wetterberichte für dieses Seegebiet ab und
erfahren, dass vor der Nordinsel 50 Knoten Wind und 9 Meter hoher Seegang herrschen.

Knapp vor Hochwasser tasten wir uns mit unserem Dinghi über das dem Ufer vorgelagerte Saumriff
an Land und unternehmen einen Inselrundgang. Kaum nähern wir uns dem einzigen Dorf, in dem
rund 150 Menschen leben, hören wir aufgeregtes Schnattern und lautes Gelächter. Es sind die
Dorfkinder, die sich am Dorftor eingefunden haben, um uns bis zum Schulgebäude zu begleiten.
„Palanghi!“ („Weiße!“) rufen sie immer wieder – offensichtlich ist der Besuch von Yachten ein eher
seltenes Ereignis im hiesigen Inselalltag.

 

 

In der Schule empfängt uns ein junger Lehrer, der ohnehin nichts mehr zu tun hat, nachdem ihm sämtliche Schulkinder zu unserer Begrüßung ausgebüxt sind. Wir halten ein kleines Schwätzchen, was sich bei seinen rudimentären Englischkenntnissen, die die seiner Schüler kaum übertrifft, als etwas mühsam erweist. Neugierig, aber freundlich, werden wir auch von den erwachsenen Dorfbewohnern bestaunt. Unterhalten können wir uns jedoch nur mit dem methodistischen Dorfpfarrer, der zusammen mit seiner Frau einige Jahre in den USA gelebt hat und uns zu einem Plausch auf seine Terrasse einlädt.

 

Günters Charme kommt gut an bei den Ladies von O’ua

 

Unser nächstes Ziel ist die Insel Nomuka, genauer gesagt ihre kleine Schwester Nomuka Iki. Obgleich
unbewohnt, ist es hier nicht so einsam. Mehrere Boote ankern in einer weit geschwungenen Bucht,
die bei der vorherrschenden Wind- und Schwellrichtung hinreichenden Schutz bietet. Bei strahlender
Sonne schnorcheln wir in türkisfarbenem Wasser vor dem herrlichen weißen Strand und beobachten
vorbeischwimmende Wasserschildkröten.

 

 

Unser letztes Ziel in der Ha’apai-Gruppe ist die Insel Kelefesia. Es wird ein unglaublicher „Waltag“, an
dem wir viele, viele dieser immer wieder beeindruckenden Tiere sehen, meist Kühe mit ihren
Kälbern. Gleich nach dem Auslaufen nehmen wir einem Buckelwal wohl die eingebaute Vorfahrt, er steigt
wenige Meter neben dem Schiff senkrecht in die Höhe, taucht unter „Alumni“ durch und setzt
unbeirrt seinen Weg fort, während uns noch der Atem stockt.

 

 

Vor sechs Jahren hatten wir schon einmal versucht, Kelefesia, die südlichste Insel der Ha’apai-
Gruppe, zu besuchen. Doch wegen unvermittelt auftretender Grundseen („blind rollers“) und einem
geschlossenen Brandungsring vor der Insel mussten wir damals unverrichteter Dinge abdrehen. Wir
haben keine rechte Erklärung, warum wir – bei praktisch identischer Windstärke und -richtung und
sogar ungünstigerer Wetterhistorie – diesmal das Saumriff passieren und in der Nähe des Ufers
ankern können. Offenbar folgt die See ihren eigenen Gesetzen, die sich selbst mit Chaostheorie und
anderen hochentwickelten Prognosemodellen noch nicht richtig entschlüsseln lassen.

 

 

Unser Ankerplatz ist wunderschön. Außerdem ersparen wir uns eine Nachtfahrt, denn von Kelefesia ist es nur noch eine Tagesreise nach Nuku’alofa, der Hauptstadt Tongas. Da nehmen wir gerne in Kauf, dass Saumriff und Insel den an sich unbedeutenden Grundschwell – das „Atmen“ des Ozeans – von allen Seiten reflektieren und ihn in der kleinen Lagune wie in einem Whirlpool zu „stehenden“ Wellen aufschaukeln lassen. Uns ist aber wohl bewusst, dass man an diesem Liegeplatz jederzeit die Wetterentwicklung im Auge behalten muss. Und das Paradies wartet mit einer weiteren Tücke auf: Unsere Ankerkette wickelt sich um einen großen Korallenblock („Bommi“) und kommt kurzstag, was sich bei dem vorhandenen Kabbelwasser durch heftige Schläge im Bugbereich bemerkbar macht, die sich aufs gesamte Schiff übertragen. So etwas passiert in diesen Gewässern immer wieder, und so ist mein Sprung ins Wasser, das Dirigieren von Rudergänger und Vordeck-Crew an der Ankerwinsch, um die Ankerkette Meter für Meter von der Koralle „abzuhäkeln“ und den Weg an einen günstigeren Ankerplatz zu weisen, mehr eine Routineübung.

Günter und Monika unternehmen einen Ausflug an Land und erfahren zu unserer Überraschung, dass
die schroffe, unbewohnt wirkende Insel doch besiedelt ist, und zwar von einem älteren Paar, das hier
eine Schweinezucht mit 350 Tieren betreibt. Über die logistischen Herausforderungen weitab von
den lokalen Absatz- und Beschaffungsmärkten können wir nur rätseln.

 

 

Am nächsten Morgen laufen wir mit dem ersten Büchsenlicht aus und sehen, nach wieder
„walreicher“ Fahrt, nachmittags die Silhouette von Nuku’alofa, die bei unserem letzten Besuch noch
von dem im viktorianischen Stil aus Holz gebauten Königspalast geprägt war. Inzwischen wird das 150
Jahre alte Wahrzeichen der Stadt von klotzigen Betonbauten weit überragt – augenfälliges Zeichen
des wachsenden finanziellen Engagements Chinas, des mit Abstand wichtigsten Kreditgebers des
kleinen Inselstaats.

Kaum etwas verändert, jedenfalls nicht zum Positiven, hat sich hingegen in dem kleinen Hafen von
Faua, den sich Fischereifahrzeuge, Ausflugs- und Shuttle-Boote zu den vorgelagerten Inseln sowie ein paar durchreisende Yachten teilen. Noch immer huschen die Ratten über die aufgeschüttete Steinpier, an der wir mit -möglichst langen- Heckleinen festmachen, deshalb kommen auch zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder die Rattenabweiser-Scheiben auf den Festmachern zum Einsatz. Der Dinghi-Anleger befindet sich in einem beklagenswerten Zustand und wird beim nächsten Sturm vermutlich ganz absaufen oder aus dem Hafen treiben. Positiv zu vermerken ist, dass sich das Einklarierungsprozedere deutlich vereinfacht hat und sich alle anzulaufende Stellen inzwischen im Hafengebiet konzentrieren.

Nuku’alofa liegt auf Tongatapu, der größten und bevölkerungsreichsten Insel Tongas ganz im Süden
des Archipels. Hier befindet sich auch der internationale Flughafen des Landes, und so endet hier nach acht Wochen die Segelreise durch Polynesien für Monika und Günter. Doch ehe die beiden abmustern, verbringen wir noch einen netten Abend im besten Restaurant des Landes in der stilvollen „Seaview Lodge“. Zwar wird es nicht mehr von Gudrun aus unser Heimatstadt Essen und ihrem österreichischen Ehemann geführt, sondern steht inzwischen unter Schweizer Management, nach wie vor wird jedoch vortrefflich gekocht, und auch die königliche Familie ist noch regelmäßig zu Gast.

Am 4. Oktober gehen Monika und Günter von Bord – wir hatten eine schöne Zeit zusammen.

 

 

Nun zu zweit, bereiten wir uns in den folgenden Tagen auf die Passage nach Neuseeland vor.

 

 



1 Kommentar

  • Monika und Günter Brand # Direkt antworten

    Liebe Sylvia, lieber Org,
    Seglerisches, Menschliches und Tierisches verbinden sich eindrucksvoll durch Wort und Schrift!
    Die Walgeschichten sind spektakukär – fast unglaublich; aber wir haben sie ja miterlebt!
    Gerne erinnern wir uns an die eindrucksvollen Erlebnisse auf dem wunderschönen Törn mit euch.
    Für das kommende Segeljahr wünschen wir euch „Immer eine handbreit Wasser unter dem Kiel“ und
    vielleicht sehen wir uns ja wieder auf einem Teilstück eurer großen Reise mit Alumni.
    Monika und Günter

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