Am 30. März verlassen wir Naze auf Amami-Ōshima. Bis zu unserem Zielhafen im Norden der Insel Yakushima sind es 140 Seemeilen. Wir starten morgens, um am nächsten Tag im Hellen anzukommen. Der Wind weht aus Norden und bleibt den ganzen Tag über schwach, so dass wir die Maschine zur Hilfe nehmen. Am späten Abend frischt er allmählich auf, kommt aber weiterhin konstant von vorne. In der Nacht sind viele Fischer, Fähren und sonstiger Schiffsverkehr um uns herum. Gegen Morgen dreht der Wind auf Nordost und erreicht sechs Beaufort. In der Dämmerung tauchen die Umrisse eines runden, steilen, vom Regenwald überzogenen Felsens auf, der an die fiktive Isla Nublar aus „Jurassic Park“ erinnert: Yakushima. Bei ruppiger See kreuzen wir die Westküste der Insel hoch und machen am späten Mittag im Vorhafen des Fischerorts Isso fest. Die wenigen für uns tiefgangsmäßig in Betracht kommenden Liegeplätze im Innenhafen sind belegt. Während draußen inzwischen raue Bedingungen herrschen, liegen wir in dem zur Bucht ziemlich offenen Hafenbecken anfangs erstaunlich ruhig.
Je mehr sich aber die Windrichtung auf Nordwest ändert, umso häufiger rollen Brecher in die Bucht von Isso. Eigentlich müsste uns der Wind von der Pier wegdrücken, doch durch Reflektion von den umliegenden Bergen passiert genau das Gegenteil. Unsere schönen neuen Schaumstofffender werden an die schroffe Hafenmauer gepresst; ihr ehemals kreisrunder Querschnitt nimmt zunehmend die Form einer langgestreckten Ellipse an. „Alumni“ rutscht in dem stärker werdenden Schwell wild die Mauer hoch und runter. Wir bringen vorne und achtern zwei lange Leinen zur Mole sowie zu einer weiteren Pier aus und blockieren damit den Zugang zu einem Teil des Vorhafens einschließlich des Versorgungskais. Niemand beschwert sich. Vielmehr signalisiert uns ein freundlicher Fischer, der eigentlich dort tanken will, dass wir die Leinenverspannung so lassen können, und dreht unverrichteter Dinge zurück in den Innenhafen ab. Es dauert zwei Tage, bis der Starkwind abflaut.
Hafen von Isso/ Yakushima
Dann können wir die „Hafenblockade“ wieder aufheben und uns unbesorgt auf Besichtigungstour mit unserem Guide Cameron begeben. Erleichtert, dass „Alumni“ nicht eine Schramme davongetragen hat, wandert vorher noch eine Flasche Wodka als Dankeschön über die Bordwand des verständnisvollen, geduldigen Fischers.
Yakushima gehört zum UNESCO-Welterbe, ist ein Paradies für Naturliebhaber und ein Ort der Extreme: Jede Regenwolke verfängt sich in dem über 1.900 Meter steil aus dem Meer aufragenden Gebirge, was das Inselinnere mit jährlich bis zu zehn Metern Niederschlag zum feuchtesten Gebiet Japans und zu einem der regenreichsten der Welt macht. Der oft zitierte „Regen an 35 Tagen im Monat“ stammt aus der populären japanischen Novelle „Ukigumo“ („Schwebende Wolke“), die unter anderem auf Yakushima spielt. Hauptattraktion der Insel sind die vielen Wandermöglichkeiten durch die dichten, immergrünen Feuchtwälder in den Bergen. Für heute ist gutes Wetter angesagt, das wollen wir zu einer Fahrt auf der 100 Kilometer langen Küstenrundstraße nutzen. Die geplante Wanderung können wir getrost auf morgen verschieben, denn im Bergland regnet es, wie gesagt, sowieso immer. Wir umkreisen die fast runde Insel im Uhrzeigersinn, kommen an Plantagen, reichlich Wasser führenden Flussläufen und kleinen Wasserfällen vorbei.
Teeplantage im Nordosten von Yakushima
Die Straße verläuft entlang der Ostküste, wo das Meer, wie zu erwarten, ungleich ruhiger ist als an den Küstenabschnitten im Norden. Entsprechend liegt man in den Häfen von Miyanoura und Anbo, die wir uns interessiert anschauen, wie in Abrahams Schoß. Miyanoura ist der größte Inselort und Hauptfährhafen, bietet aber für Sportboote kaum Platz. Dagegen scheint der offenbar vor nicht langer Zeit erneuerte, gepflegte kleine Hafen von Anbo eine gute Alternative zu Isso zu sein – sofern man einen Liegeplatz an der Pier ergattert und die Wassertiefe dort ausreicht. Wir sind überrascht, ein bekanntes Boot am Anleger gemütlich hin- und herschaukeln zu sehen: Es ist die „Robusta“, ein schöner, stäbiger Stahlspitzgatter aus der Schweiz, der seinem Namen alle Ehre macht (sy-robusta.ch). Wir sind der „Robusta“ und ihrer Crew, Anja und Thomas, erstmals vor vier Jahren im tiefen Patagonien begegnet und später nochmal in den Toamotus. Leider treffen wir die beiden nicht an und hinterlassen eine kurze Nachricht.
Mittags machen wir Halt an einem idyllischen Picknickplatz mit Panoramablick auf den Senpiro-Wasserfall. Cameron hat drei Bentō-Boxen mitgebracht, die gut mit Sushis und weiteren Leckereien gefüllt sind.
Senpiro-no-taki
Cameron ist Maori, kommt also aus Neuseeland und lebt seit vielen Jahren in Japan. Er ist mit einer Japanerin verheiratet und hat zwei Söhne, die hier aufwachsen. Cameron erzählt, dass es ihm gar nicht so schwer gefallen ist, Japanisch zu lernen, da die Sprache vieles, bis hin zu einzelnen Begriffen, mit Maorisch gemeinsam habe. Das ist insofern sehr interessant, als es nach wie vor Verfechter der von Thor Heyerdahl vertretenen These gibt, dass die Polynesier von Südamerika aus die Inseln des Pazifiks besiedelt haben, während neuere genetische Forschungen eine Herkunft aus Ostasien, speziell Taiwan, nahelegen. Erstaunlich, dass diese Diskussion immer noch (und überhaupt so lange) geführt wird, obgleich die „linguistische“ Evidenz doch offenbar eindeutig ist. Ganz anders verhält es sich übrigens mit dem komplexen japanischen Schriftsystem, das aus gleich drei verschiedenen Schriften besteht, die auch in Alltagstexten nebeneinander verwendet werden. Cameron bekennt, dass er sich – in Neuseeland akademisch ausgebildet – hier immer noch etwas wie ein Analphabet fühlt.
Die meisten der 12.000 Inselbewohner leben an der Ostküste. Je weiter wir nach Süden kommen, umso kleiner werden die Ortschaften, bis die Besiedlung schließlich ganz aufhört. An der Südwestküste posieren wir touri-mäßig vor dem Ōko-no-taki, mit 88 Metern höchster Wasserfall Japans.
Im Westen verengt sich die Straße und windet sich in vielen Kehren durch „grüne Tunnel“ im dichten Regenwald und unberührtes Bergland. Dies ist der bevorzugte Lebensraum von Rotgesichtsmakaken und Sikahirschen. Beide sind auf Yakushima heimische, kleiner gewachsene Unterarten von Populationen, die auf den großen Inseln oder dem asiatischen Festland leben. Es gibt hier so viele von den Tieren, dass sie in der Land- und Forstwirtschaft und selbst von Naturschützern schon als Plage wahrgenommen werden.
Yakushima ist kein Reiseziel für Strandfreaks, denn die Küste ist meist felsig und steil. Doch bei Nagata liegen gleich drei der wenigen Inselstrände dicht nebeneinander. Sie sind vor allem auch bei Meeresschildkröten während der Eiablagezeit im Frühsommer beliebt – etwa jedes dritte in Japan herumschwimmende Exemplar ist hier geschlüpft.
Leuchtturm und Shinto-Miniatur-Schrein (Hokora) am Kap Nagata
Nordwestküste zwischen Nagata und Yoshida
Ein paar Kilometer weiter haben wir unsere Inselrundfahrt vollendet und sind am späten Nachmittag zurück in Isso.
Gleich früh am nächsten Morgen klopft Cameron wieder ans Schiff, denn heute ist Hiking durch die Wälder mit den bizarren Sicheltannen im Innersten der Insel angesagt. Die Bäume sind auch als Japanische Zedern oder Sugi bekannt. Manche von ihnen sind über 1.000 Jahre alt, dann heißen sie Yaku-sugi. Sie wachsen sehr langsam auf dem nährstoffarmen, felsigen Untergrund; durch ihren hohen Harzgehalt können sie dem nassen Klima besser widerstehen – beides erklärt vielleicht ihre extreme Langlebigkeit. Normalerweise kommen etwa 300.000 Touristen jährlich nach Yakushima, um die berühmten Yaku-sugi zu sehen. Nicht so in diesem Jahr – bei unserem Besuch sind die Parkplätze weitgehend leer, und wir haben die Wälder fast für uns allein. Die Seniorin der Sicheltannen an unserem Weg soll 3.000 Jahre alt sein. Doch es sind nicht nur die gigantischen, uralten Yaku-sugi, es ist die ganze Artenvielfalt von Farnen, Moosen, Rhododendren und anderen Pflanzen, die in den Wäldern zusammen mit den vielen kleinen Wasserfällen eine fast mystische Szenerie erzeugen. Der obligatorische Regen setzt erst gegen Mittag ein.
Mit Cameron im Land der Yaku-sugi
Die urwüchsige, moosbewachsene Baumlandschaft Yakushimas hat den Regisseur und Oscar-Preisträger Hayao Miyazaki zu den Waldszenen in dem hinreißenden Anime „Prinzessin Mononoke“ inspiriert.
Wir verabschieden uns von Cameron, der ein toller Reisebegleiter war. Gerade weil er sich eine gewisse Außensicht auf die kulturellen Eigenarten seiner zweiten Heimat bewahrt hat, haben wir viel von ihm über die Besonderheiten der japanischen Lebens- und Denkweise erfahren. Zurück an Bord, beschäftigen wir uns mit der weiteren Reiseplanung. Was Corona angeht, leben wir bislang auf den „Inseln der Seligen“. Doch wir hören und lesen natürlich, was um uns herum in der Welt passiert: Deutschland befindet sich seit zwei Wochen im Lockdown. Eine Grenze nach der anderen wird geschlossen, Flugverbindungen werden reihenweise gestrichen. Zehntausende deutsche Touristen, vor allem Individualreisende wie wir, sind im Ausland gestrandet. In Deutschland rollt gerade die größte Rückholaktion der Geschichte an, doch was uns angeht, wollen wir es so weit nicht kommen lassen. Noch gibt es zumindest von einem der beiden Flughäfen in Tokyo den einen oder anderen regulären Flug nach Europa. Wir beschließen daher zähneknirschend, uns von der ursprünglich geplanten reizvolleren Route über das Ostchinesische Meer – entlang der stark gegliederten Westküste Kyushus mit Highlights wie Nagasaki und Hirado – in die Seto-Inlandsee zu verabschieden. Stattdessen werden wir den schnelleren Weg auf der pazifischen Seite im Osten von Kyushu einschlagen und unser Besichtigungsprogramm straffen.
Wir warten drei Tage auf passenden Wind und nutzen die Zeit für kleinere Überholungsarbeiten. Das Wasser im Hafen ist wieder kabbelig – an einem Nachmittag hören wir einen dumpfen Knall, eine Heckleine ist gebrochen. Wie in den anderen Häfen, die wir in Japan angelaufen sind, ertönt immer morgens um 7 Uhr, dann nochmal mittags sowie zum Feierabend um 17 Uhr ein Glockenspiel aus einem der Lautsprecher, die in den Orten an stark frequentierten Punkten installiert sind. Dabei werden eingängige, internationale Melodien bevorzugt; heute früh ist es zum Beispiel „Edelweiß“, um Punkt 12 Uhr schlägt „Big Ben“. Im Anschluss folgt jeweils eine längere Sprachdurchsage. Von Cameron wissen wir, dass es sich um Lokalnachrichten, wichtige Mitteilungen und Ansagen an die Bevölkerung handelt – es kann durchaus mal ein Ersuchen dabei sein, dass die (namentlich genannte) Familie XY sich bei der Mülltrennung doch bitte noch etwas mehr anstrengen möge.
Am Nachmittag vor unserer Abreise freuen wir uns über unerwarteten Besuch: Anja und Thomas von der „Robusta“ sind per Anhalter von ihrem neuen Liegeplatz in Miyanoura herübergekommen. Wir verbringen zwei vergnügliche Stunden im Cockpit, bevor sie den letzten Bus „nach Hause“ nehmen. Am 7. April laufen wir noch vor dem Frühstück aus – fast bei Hochwasser, das heißt entspanntes Ablegemanöver, ohne Hochklettern an der Hafenmauer. Draußen weht eine mäßige Brise, dazu haben wir kräftigen Schiebestrom – hoch am Wind kommen wir gut voran, bis sich der Wind gegen Mittag abschwächt. Der Schiffsverkehr nimmt deutlich zu, je mehr wir uns Kyushu und der Hauptschifffahrtsroute entlang der japanischen Ostküste nähern. Das bleibt auch so die ganze Nacht über.
Wir sind weiterhin so gut unterwegs, dass wir für die 190 Seemeilen-Strecke bis Saiki, eine 70.000-Einwohner-Stadt im Nordosten von Kyushu kurz vor dem Zugang zur Seto-Inlandsee, keinen Zwischenstopp und keine zweite Nachtfahrt einlegen müssen. Unser Ziel ist die kleine Insel Onyujima direkt gegenüber von Saiki, denn im Stadthafen gibt es keine geeigneten Plätze für Gastlieger. Um 14 Uhr machen wir am Umi no Eki-Ponton in einer ruhigen Bucht Onyujimas fest.
Mit dem Wassertaxi setzen wir am nächsten Tag zur Hauptinsel über, um uns Saiki anzuschauen. Erste Station ist das kleine Fremdenverkehrsamt, weil unsere Reiseführer gar nichts, das Internet wenig über diese Ecke abseits der Touristenpfade hergeben. Die beiden Mitarbeiter dort sind sehr freundlich und hilfsbereit, doch sprechen sie kein Englisch. Immerhin erhalten wir einen Stadtplan, in dem die wichtigsten Sehenswürdigkeiten markiert sind. Die liegen fast alle an der „Straße der Geschichte und Literatur“.
Auf dem Weg dorthin folgen wir einem kleinen Bachlauf und einer Kirschbaumallee, die in voller Blüte steht. Die Kirschblüte (Sakura) ist ein Höhepunkt im japanischen Kalender und zeigt den Beginn des Frühlings an. In Okinawa dauert sie bis Mitte Februar, war bei unserer Ankunft also schon vorbei; jetzt haben wir die „Kirschblütenfront“ (Sakura zensen) von hinten eingeholt. Ihr genauer Verlauf wird in diesen Wochen im TV-Wetterbericht täglich vorhergesagt; normalerweise wandert sie in den Monaten März bis Mai von Kyushu nordostwärts nach Hokkaido. Sakura ist in Japan nicht einfach ein botanisches Ereignis, sondern Kult und ein Grund zum Feiern. Sobald sich die ersten Blüten öffnen, geht’s mit Verwandten, Freunden oder Kollegen zum Hanami („Blumensehen“). Doch in diesem Jahr fällt das – wie man hört, oft feucht-fröhliche – Picknick-Event unter dem Kirschbaum leider dem Virus zum Opfer.
An der „Straße der Geschichte und Literatur“ stehen einige interessante Gebäude, Schreine und Tempel, selbst wenn wir ihre Bedeutung mangels Beschilderung nicht immer verstehen. Es gibt auch kleinere Ausstellungen und Museen, die teilweise sogar geöffnet haben.
Einige der repräsentativen Häuser gehörten wohlhabenden Samurais. Der mit Matten aus gepresstem Reisstroh (Tatami) ausgelegte Boden ist ganz typisch für ein japanisches Haus. Die Wohnfläche wird in Japan übrigens nicht in Quadratmetern, sondern in der traditionellen japanischen Maßeinheit Tatami (Standardmaß 180 Zentimeter mal 90 Zentimeter) angegeben. Diese unterscheidet sich für den Normalbürger von heute natürlich deutlich von der des einstigen Schwertadels.
Einfamilienhaus in Saiki
Ein Haus, das wir auch von innen besichtigen können, ist dem Schriftsteller Kunikida Doppo (1871-1908) gewidmet, der für neun Monate in Saiki als Lehrer arbeitete und hier wohnte. Doppo zählt in Japan zu den Großen der Literatur – was offenbar aber nicht auf seine Statur zutrifft, denn ich fühle mich in den Räumen ein wenig wie Gulliver.
Bei dem schönen Pavillon handelt es sich um ein öffentliches Toilettenhäuschen. Auch innen ist die Ausstattung Lichtjahre von der entsprechenden Einrichtung in Deutschland entfernt. Mögen die Konkurrenten auf dem asiatischen Festland in vielen Bereichen der Hochtechnologie fast aufgeschlossen haben, hier ist der japanische Full-Service-Ansatz immer noch einsame Spitze… Aus eigener Erfahrung ist dem staunenden Europäer dringend zu raten, die beachtliche Anzahl an Funktionen (abgebildet ist ein einfaches, älteres Modell) nur im Sitzen oder bei geschlossenem Deckel auszuprobieren und vor dem Aufstehen das Drücken der gelben Stopptaste nicht zu vergessen!
Als wir am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang gerade die erste Festmacherleine lösen und auslaufen wollen, spricht uns ein junger Mann in leider fast unverständlichem Englisch an und gibt sich als Polizist zu erkennen. Wenn wir es richtig interpretieren, möchte er unsere Daten aufnehmen, woraufhin wir nur mit unserem Naikosen wedeln. Daraufhin bittet er uns, auf ihn zu warten, entfernt sich und kommt kurz darauf mit einem Armvoll Apfelsinen, Tee und Reis aus eigenem Anbau zurück, die er uns schenken möchte. Alles sehr nett, gerne hätten wir uns auf eine längere Unterhaltung eingelassen, aber irgendwie kommt das jetzt zur Unzeit: Wir wollen die Meerenge an der Einfahrt in die Seto-Inlandsee, an der heftige Strömungen und Strudel („Eddies“) herrschen können, bei Stillwasser passieren. Wir revanchieren uns mit der Übergabe unseres Clubstanders, der jetzt vielleicht in der Polizeiwache von Onyujima hängt, und legen freundlich winkend ab.
Sonnenaufgang vor Onyujima
Wir erreichen die „Straße von Hoyo“, einen der drei Zugänge zur Seto-Inlandsee, mit dem letzten einlaufenden Strom. Je nach Tiden- und Windbedingungen kann der Niveauunterschied zwischen dem Pazifik und der Inlandsee bis zu 1 1/2 Metern betragen, was die potentiell starken Strömungen in den Meerengen erklärt. Doch jetzt, bei kenterndem Strom, sind die verbleibenden Kabbelungen harmlos; nur am Rand des Gatts sieht man ein paar „stehende Wellen“. Viel mehr Aufmerksamkeit beansprucht der starke Schiffsverkehr, vor allem die in kurzen Abständen unseren Kurs kreuzenden Fähren zwischen Shikoku und Kyushu und die erratisch um ihre Fanggründe kurvenden Fischer.
Straße von Hoyo (Foto: T. Rovsing)
Dann ist „Alumni“ in der Seto-Inlandsee (Setonaikai), ein sich 400 Kilometer von Ost nach West erstreckendes, schmales Binnenmeer, das drei der vier japanischen Hauptinseln, nämlich Honshu, Shikoku und Kyushu, voneinander trennt. Mehr als 700 Inseln liegen verstreut in der „Ägäis des Fernen Ostens“. Manche sind nicht viel mehr als aus dem Wasser ragende Granitfelsen, die größeren sind besiedelt. Es herrscht ein mildes, niederschlagsarmes Klima, die jahreszeitlichen Schwankungen sind eher gering. Setouchi, wie der Küstenstreifen um die Inlandsee heißt, gilt als die klimatisch am meisten begünstigte Region Japans, weshalb sie auch „Land des schönen Wetters“ (hare no kuni) genannt wird. Die Vegetation ist mediterran; insbesondere Japanische Rot- und Schwarzkiefern prägen das Landschaftsbild.
Darstellung der Setonaikai aus dem späten 17. Jahrhundert
Die Seto-Inlandsee und ihre Inseln werden bereits im Kojiki, dem ältesten überlieferten literarischen Dokument Japans (712 n. Chr.), erwähnt. Diese vom mythischen Zeitalter der Götter bis in die Frühgeschichte Japans reichende Chronik gilt nach heutigem Verständnis als „Bibel des Shintō“. Setonaikai als Schauplatz zahlloser Legenden und Mythen hat damit für die Japaner eine vergleichbare Bedeutung wie die Ägäis für die Griechen oder der Rhein für die Deutschen.
Seit dem Altertum ist die Inlandsee die Hauptschlagader für den Transport von Menschen und Gütern auf dem Seeweg – innerjapanisch sowie zwischen Japan und dem asiatischen Festland. Über den östlichen Ableger der Seidenstraße kamen jedoch nicht nur Waren, sondern auch kulturelle und religiöse Strömungen aus ganz Asien via China und Korea nach Japan, die in der Inlandsee zusammentrafen und sich hier vermischten. Als Folge des prosperierenden Seehandels setzte Ende des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung der Region ein; nacheinander entwickelten sich Zentren für den Schiffsbau, die Schwerindustrie generell, die Automobil- und Textilindustrie sowie die Erdölverarbeitung und Petrochemie. Besonders auf Honshu nehmen Städte, Häfen und Industrieanlagen beträchtliche Teile der Küstenlinien ein, allen voran die Millionenstädte Osaka, Kobe und Hiroshima. 30 Millionen Menschen – fast ein Viertel der japanischen Bevölkerung – leben rund um die Inlandsee.
Doch obwohl die Industrialisierung und Verstädterung ihre Wunden hinterlassen haben, sind die Schönheit der Natur und der traditionelle japanische Lebensstil in der Region allgegenwärtig. Vom Klima begünstigt, gehören die Küsten der Inlandsee zu den ältesten und wohlhabendsten Kulturlandschaften Japans. Viele Bewohner bestreiten ihren Lebensunterhalt mit der Landwirtschaft oder Kleinfischerei, wie ihre Vorfahren vor Hunderten von Jahren. Wir sehen Fischerdörfer, Bauernhöfe, Terrassenkulturen und Zitrusanpflanzungen. Fast die gesamte Inlandsee ist Teil des 1934 gegründeten Setonaikai-Nationalparks; hier hat sich eines der letzten Wattenmeere Japans, das noch nicht durch Eindeichungen zerstört wurde, erhalten. In dem relativ flachen, höchstens 105 Meter tiefen Binnenmeer leben über 500 Meerestierarten, vom urzeitlichen Pfeilschwanzkrebs bis zum Glattschweinswal und Weißen Hai.
Für den Segler ist die Inlandsee ein Revier der kurzen Distanzen mit vielen Möglichkeiten, einen Zwischenstopp einzulegen. So planen wir ab jetzt nur noch Tagestörns um die 40 Seemeilen. Vom Nachtsegeln in der Seto-Inlandsee wird ohnehin abgeraten – wegen des rund um die Uhr hohen Verkehrsaufkommens und der vielen unbeleuchteten Fischereianlagen unter der Küste. Wie generell in Japan, ist das Ankern in der Inlandsee zwar nicht verboten, aber unüblich. Es gibt auch nicht so viele idyllisch gelegene Ankerplätze, wie die gegliederten Küstenlinien und das Inselgewirr eigentlich erwarten lassen. In zahlreichen Buchten befinden sich Hafen- oder Küstenbefestigungsanlagen, oft regelrechte Bollwerke aus Beton. Wenn man meint, eine schöne, unverbaute und sichere Bucht ohne zu viel Strömung in der Karte ausgemacht zu haben, verhindern vermutlich Stellnetze oder Aquakulturen das Ankern oder machen es zumindest unattraktiv. Also liegt man auch in der Inlandsee letztlich doch wieder in einem Fischereihafen, an einem Umi no Eki-Ponton (keine schlechte Art des Liegens, ganz im Gegenteil – gut, dass es sie gibt!) oder aber in einer der vielen, meist kleineren Marinas des Reviers. Wie gesagt, ein Mangel an Liegeplätzen besteht nicht.
Unseren ersten Zwischenstopp legen wir in einer kleinen Marina ein, die seeseitig durch die ins Meer gebaute Piste des Flughafens von Ōita/Kyushu bestens geschützt ist. Am nächsten Tag geht’s weiter nach Suo-Oshima, der drittgrößten Insel der Seto-Inlandsee. Auf dem Weg dorthin bekommen wir eine Kostprobe von der Schönheit des Reviers mit seinen unzähligen Inseln, Inselchen oder Felsen jeder Größenordnung, andererseits aber auch von dem starken Schiffsverkehr – Fähren, Kümos, Fischer und Motoryachten scheinen uns aus allen Himmelsrichtungen in die Mangel nehmen zu wollen.
Kirk hat einige Zeit auf Suo-Oshima gelebt und verfügt in dem kleinen Fischerhafen von Agenosho sogar über einen eigenen Anlegeponton, den wir benutzen, auch wenn er für uns etwas kurz geraten ist.
Die nächsten beiden Tage – es sind die Osterfeiertage – zieht ein Sturmtief mit Windstärken von über 50 Knoten die Küste des Japanischen Meers entlang. Hier in der Inlandsee weht es zwar nicht so heftig, aber das Wetter ist dennoch scheußlich. Dauerregen und Schauer wechseln sich ab; erstmals seit Chile werfen wir unsere Webasto-Heizung an. Zweimal kommt Kirks Freund Ishida-san vorbei, das erste Mal zu unserer Begrüßung, dann in Sorge um unser Wohlergehen und zur Stimmungsaufhellung mit einer Runde Sake und seinem Lieblingsbier. Ishuda-san hat bis zu seiner Pensionierung vor sechs Jahren für Beiersdorf in Tokyo gearbeitet. Danach ließ er sich auf Suo-Oshima nieder und baute sich eine neue Existenz als Öko-Landwirt auf. Er spricht ein sehr gutes Englisch und sogar ein paar Brocken Deutsch. Am Dienstag wollen wir zu einer gemeinsamen Inselrundfahrt starten, doch wir plaudern schon vorher eine ganze Weile miteinander. Ishida-san erzählt vom ruhigen, beschaulichen Inselleben ohne Verkehrsstaus, Umweltverschmutzung und Fastfoodketten, dass die Insel aber auch in jeder anderen Hinsicht vom modernen Leben abgeschnitten ist (die Brücke, die Suo-Oshima mit Honshu verbindet, hat daran wenig geändert). Gerade für junge Leute erscheint dieses Leben wenig attraktiv, so dass die Inseln der Inlandsee zusätzlich zur allgemeinen Bevölkerungsabnahme in Japan von starker Abwanderung in die Ballungszentren mit ihren besseren Verdienstmöglichkeiten betroffen sind. Zur Gegensteuerung wetteifern gewitzte Inselverwaltungen mit Anreizprogrammen um neue Bewohner, hauptsächlich Ruheständler, denen der Umzug aus der teuren Großstadt schmackhaft gemacht werden soll. Bei den Anreizen ist man einfallsreich und flexibel: Schlicht und einfach Cash, Unterstützung bei der Haussuche, Bereitstellung eines Bootes… oder auch eines Liegeplatzes für die eigene Yacht (wie im Fall von Kirk), alles ist gestaltbar. Auch Ishida-san ist im Rahmen dieses Programms nach Suo-Oshima gekommen. Tatsächlich erleben die Inseln der Inlandsee in jüngster Zeit so etwas wie eine Renaissance; immer mehr Menschen sind der Hektik in den überfüllten Großstädten überdrüssig und sehnen sich nach dem einfachen, natürlichen Leben des „wahren Japans“ zurück.
Wie vorhergesagt, herrscht am Dienstag wieder strahlend blauer Himmel und die Sonne scheint – ideales Wetter für den geplanten Ausflug. Wir fahren kreuz und quer über die schöne Insel und genießen von verschiedenen Aussichtspunkten den Blick über die tiefblaue Inlandsee.
An vielen Stellen auf Suo-Oshima werden Mandarinen kultiviert. Ishida-san zeigt uns einige seiner Parzellen, die er zur Bewirtschaftung angepachtet hat. Er hat sich auf den Anbau von Reis und Zitronen spezialisiert, alles unter biologischen Bedingungen; seine kleine Farm heißt „Lohas“ – Lifestyle of Health and Sustainability. Lächelnd erzählt er, dass er mit seinem Nachhaltigkeitsansatz auf der Insel als Exzentriker gilt. Eigentlich erstaunlich bei dem relativ naturnahen Lebensstil der Inselbevölkerung!
In einer der Anpflanzungen von Ishida-san sind die Zitronen gerade erntereif – wir dürfen so viele für uns pflücken, wie wir mögen.
Zitronenernte mit Ishida-san
Nach dem Lunch in einem der wenigen Restaurants, die trotz Corona noch geöffnet haben, besuchen wir ein kleines, aber interessantes Auswanderermuseum. Ende des 19. Jahrhunderts, als Japan seine Selbstisolation aufgegeben und sich innerhalb kurzer Zeit zu einer vom Westen respektierten, modernen Nation entwickelt hatte („Meiji-Restauration“), wanderten rund 4.000 Einwohner Suo-Oshimas nach Hawaii aus. Unter klimatisch ähnlichen Bedingungen wie zu Hause fanden sie Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen.
Erst vor kurzem habe ich den Roman „Snow Falling on Cedars“ aus unserer virtuellen Bordbibliothek auf dem E-Reader gelesen. Der im Nordwesten der USA spielende Roman befasst sich mit dem schwierigen Verhältnis zwischen Amerikanern und den im Land lebenden Japanern im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich frage mich, wie es den japanischen Auswanderern auf Hawaii nach dem Überfall auf Pearl Harbor wohl ergangen ist, doch leider finden wir in dem Museum hierauf keine wirkliche Antwort. Einige der Auswanderer sind inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt und haben Brauchtum und Kultur aus Hawaii mitgebracht. Man sieht Palmen auf Suo-Oshima, ein in der Inlandsee sonst ungewohnter Anblick, und kann hawaiianische Produkte kaufen. Im Sommer finden wöchentlich Hula-Tanzveranstaltungen statt. Mit Kauai, der nördlichsten der acht Hauptinseln Hawaiis, besteht eine Inselpartnerschaft. Clevere Touristikmanager versuchen, Suo-Oshima als die „Aloha-Insel der Seto-Inlandsee“ oder das „Hawaii von Setouchi“ zu vermarkten – bislang offenbar mit überschaubarem Erfolg.
Das kleine Heimatmuseum in Kuka mit einer Fülle von Handwerkzeugen, Geräten und anderen Arbeitshilfen – geordnet nach Zünften und Epochen – wird extra für uns geöffnet. Es ist mittlerweile Nachmittag und schon recht kühl geworden. Wir freuen uns auf die Tasse grünen Tee, zu der Ishida-san uns in eines seiner beiden Häuser einlädt. Das über 100 Jahre alte Gemäuer, das er Raum für Raum in seinen historischen Zustand zurückversetzen will, ist auch bereits ziemlich ausgekühlt – eine Zentralheizung gibt es nicht. Dann kommt der Aha-Effekt: Ishida-san bittet uns, an einem niedrigen, kleinen Tisch Platz zu nehmen, um den herum Kissen auf dem Boden liegen. Unter dem Tisch befindet sich eine Grube für die Füße, im Tischgestell ist eine Heizung angebracht, die viel Wärme nach unten abstrahlt. Eine große, schwere Decke, die zwischen Tischplatte und -gestell geklemmt ist, hält die Wärme (und eventuell von den Socken aufsteigenden Qualm) unter dem Tisch.
Die Ohren bleiben zwar kalt, aber im Durchschnitt eine komfortable Temperatur! Wir lernen, dass dies ein traditonelles Arrangement in Japan ist und Kotatsu beziehungsweise – in unserer klassischen Ausführung mit Grube – Horigotatsu heißt. Auch im modernen, vielstöckigen Wohnungsbau hält man an dieser sparsamen Art des Heizens fest (wobei die Vertiefung im Boden sich dort natürlich nicht realisieren lässt). Es ist wohl eine Ausprägung des japanischen Urbedürfnisses, in größtmöglicher Harmonie mit der Natur, das heißt mit den geringstmöglichen Eingriffen in sie, zu leben: Nicht die Wärme dorthin zu bringen, wo man sich bewegt (wie in der westlichen Welt), sondern sich dorthin zu bewegen, wo es warm ist! Ein kleiner Rundgang durchs Haus offenbart, dass noch viel Arbeit auf Ishida-san wartet. Die originale Ausstattung des Hauses ist minimalistisch; interessant die uralte, ausladende Badewanne mit integriertem Holzofen.
Auf dem Rückweg zum Hafen passieren wir eine Allee mit Kirschbäumen, die in voller Blüte stehen – das i-Tüpfelchen auf einem ereignisreichen, großartigen Tag mit einem fantastischen Begleiter.
Am nächsten Tag motoren wir 30 Seemeilen quer über die spiegelglatte Inlandsee und machen in dem kleinen Hafen von Horie an einem Umi no Eki-Ponton fest. Auch an dieser Stelle wollen wir wieder eine Lanze brechen für diese – wenn auch nicht romantische – Art des Liegens, wo sie denn verfügbar ist. Tidenunabhängig, ausgestattet mit brandneuen Fenderleisten, Wasser und Strom (beides benötigen wir nicht), kostet die Übernachtung umgerechnet nur wenige Euro.
Horie ist ein Stadtteil von Matsuyama, mit 500.000 Einwohnern größte Stadt auf Shikoku und Verwaltungszentrum der Präfektur Ehime. Wir fahren mit dem Bus in die Innenstadt und sehen schon von weitem die schöne Burg, die sich auf einem Hügel mitten in der Stadt erhebt. Japan ist berühmt für seine Burgen, von denen es einst über 400 gab, die aber größtenteils der Zerstörung zum Opfer fielen. Die Hauptgründe dafür:
1. Brände – typischerweise besteht der zentrale Gebäudeteil (Tenshukaku) nahezu vollständig aus Holz, nur der Sockel (Ishigaki) ist aus Stein.
2. Erdbeben.
3. Die absichtliche Zerstörung durch Menschenhand. Besonders in der Meiji-Zeit, als man sich von der feudalistischen Vergangenheit löste und in einem Anflug von Bildersturm auch die Burgen schliff, wurde deren Anzahl arg dezimiert… da waren’s unter 40! Der Zweite Weltkrieg tat ein Übriges; lediglich zwölf Originale sind übrig geblieben.
Alle anderen Burgen, die es heute in Japan gibt, sind wiederaufgebaut. Von den erhalten gebliebenen ist zweifellos die Burg von Himeji in der Nähe von Kobe die bekannteste und schönste. Doch bereits an zweiter Stelle folgt die Burg von Matsuyama (1602 erbaut, ist auch sie zweimal abgebrannt, allerdings stammt der letzte, damals eigentlich schon anachronistische Wiederaufbau aus dem Jahr 1820 und gilt damit als ein Original).
Der Aufstieg zur Burg führt durch einen Park und ist ziemlich steil. Für die Bequemen gibt es auf der anderen Seite des Hügels eine Seilbahn, doch die ist momentan coronabedingt ohnehin außer Betrieb. Die Burg von Matsuyama soll zu den wenigen gehören, in denen es auch drinnen Interessantes zu sehen gibt. Wieder macht Corona einen Strich durch die Rechnung: Genau seit gestern, dem 15. April, ist das Innere der Burg für Besucher nicht mehr zugänglich. Immerhin können wir um die Burg herum laufen und ihre Details betrachten. Die sogenannten Gipfelkarpfen (Shachikoko), die auf den Dreiecksgiebeln angebracht sind, sollen ganz typisch für japanische Burgen sein – als Meeresbewohner sind sie eine Allegorie für Wasser und haben angesichts der immerwährenden Feuergefahr die Funktion eines Glücksbringers.
Die zweite große Sehenswürdigkeit Matsuyamas ist das historische Badehaus Dōgo-Onsen Honkan (Honkan bedeutet Hauptgebäude) im Stadtteil Dōgo-Onsen, den wir per Taxi erreichen. Das dreistöckige öffentliche Badehaus wurde im 19. Jahrhundert über heißen Quellen (Onsen) errichtet, deren Heilkräfte der Legende zufolge bereits die Götter entdeckten. Jeder Japaner kennt dieses Denkmal, das zu den wichtigen nationalen Kulturgütern gehört. Im teureren oberen Bereich liegen auch die privaten kaiserlichen Bäder. Ob das angeblich seidige Wasser des Thermalbads wirklich schön macht und gegen Nervenschwäche wie Gereiztheit wirkt, können wir nicht beurteilen. Denn wie so vieles hat auch das Badehaus wegen der Pandemie geschlossen, außerdem ist es seit letztem Jahr wegen umfangreicher Restaurationsarbeiten größtenteils eingerüstet. Auf sieben Jahre sind die Arbeiten angesetzt, in deren Rahmen die beiden separaten Bäder samt ihrer diversen Einrichtungen wieder auf Vordermann gebracht und vor allem die Erdbebensicherheit des Gebäudes verbessert werden sollen. Direkt gegenüber befinden sich die Okaido-Arkaden, eine überdachte Einkaufsstraße mit unzähligen Geschäften und Restaurants. Von dort bietet sich dem Fotografen eine fast gerüstfreie Perspektive auf die Haupteingangsfassade des Dōgo-Onsen Honkan.
Im Grunde ist das ganze Viertel eine aufwändig angelegte Amüsiermeile, zur Zeit allerdings fast menschenleer – auch der japanische Tourismus ist inzwischen zum Erliegen gekommen. Zum Abschluss unseres Besuchs klettern wir die 135 Stufen zum Isaniwa-Schrein hoch, der von der Regierung ebenfalls als wichtiges nationales Kulturgut ausgezeichnet wurde.
Isaniwa-jinja
Auf dem Weg zur Insel Omishima kreuzen wir am nächsten Tag erneut die Hauptschifffahrtslinie, wieder müssen wir dabei konzentriert nach einer Lücke zwischen den in geringem Abstand hintereinander fahrenden „Big Boys“ suchen. Am frühen Nachmittag machen wir am Umi no Eki-Ponton im Hafen von Miyaura fest. Dieser unterscheidet sich optisch deutlich von dem, was wir bisher gesehen haben – wir meinen, standesgemäß für „Alumni“! Kein Wunder: Es ist die Kaiser-Landungsbrücke, der angeblich größte je in einem Stück gefertigte schwimmende Schiffsanleger in Japan. Kaiser Hirohito benutzte den ursprünglich für Fähren bestimmten Ponton anlässlich der Forschungsreisen mit seinem hölzernen 12-Tonnen-Kutter „Hayama Maru“, die ihn auch in die Seto-Inlandsee führten; ihm zu Ehren wurde der Landungsbrücke ein Dach spendiert. Nach 1945 hatte die US-amerikanische Militärregierung Hirohito auf dem Kaiserthron belassen, aber seine Funktion auf rein repräsentative Aufgaben zurückgestutzt. In diesem Lebensabschnitt konnte sich der Tenno seiner Passion, der Meeresbiologie, zuwenden, die ihn wohl immer stärker interessierte als das höfische Protokoll. Er steuerte viele wissenschaftliche Beiträge auf diesem Gebiet bei, insbesondere beschrieb er bis dahin unbekannte Hydrozoen-Arten – Menschen wie Du und ich würden wohl „Quallen“ oder „Glibberzeug“ dazu sagen. An die 400 seiner geliebten Spezies sollte Hirohito bis zu seinem Tod im Jahr 1989 noch taufen können.
Kaum haben wir angelegt, beginnt es zu tröpfeln. Das stört einen älteren Herrn, der direkt nach unserer Ankunft auftaucht und unter Einsatz seiner wenigen Englischbrocken gerne mit uns plaudern möchte, herzlich wenig. Es dauert gar nicht lange, bis sich zwei alte Damen hinzugesellen und sich der Unterhaltung anschließen. Schnell wird klar, dass sie vor allem auch in amtlicher Mission, nämlich zum Kassieren, gekommen sind. Sie stellen ein paar Fragen, unter anderem nach dem Schiffsgewicht, die wir mit der Übersetzungshilfe des Herrn brav beantworten. Dann wird lange hin und her gerechnet, zum Schluss noch die Steuer draufgeschlagen und uns das Ergebnis der Kalkulation nebst detaillierter Quittung präsentiert: Umgerechnet stolze 90 Cent für zwei Liegetage an der edlen Kaiser-Landungsbrücke!
Die Lage des großen Anlegers auf der kleinen, abgelegenen Insel kommt nicht von ungefähr: In fußläufiger Entfernung liegt der berühmte Oyamazumi-Schrein, ein altes Shinto-Heiligtum, das dem Bruder der Sonnengöttin Amaterasu gewidmet ist, einem Gott der Berge, der Ozeane und der Kriegsführung. Infolgedessen war der Schrein über 1.400 Jahre Pilgerziel für Japans militärische Befehlshaber. Auch wir machen uns am nächsten Tag nach einem verregneten und windigen Morgen auf den Weg zu einem Besuch, schließlich ist Oyamazumi ebenso Schutzpatron der zivilen Seefahrer. Der Eingang des Schreins wird von Löwenhunden (Komainu) bewacht – enge Verwandte der Fabelwesen, die wir bereits von den Ryūkyū-Inseln als Shisa kennen. Der Unterschied? Während die größeren Komainu an heiligen Orten wie Shinto-Schreinen, Buddha-Tempeln oder Adelsanwesen aufgestellt werden, finden sich Shisa auch an einfachen Gebäuden, beschützen also jedermann und nicht nur die oberen Zehntausend.
Vom Eingang gelangt man immer tiefer in die weitläufige Anlage hinein, bis zu ihrem innersten Heiligtum.
Das heutige Bauwerk wurde im 14. Jahrhundert errichtet, die beiden Kampferbäume im Innenhof sollen hingegen bereits 2.600 beziehungsweise 3.000 Jahre auf dem Buckel haben. Um die Bäume sind Götterseile aus Reisstroh (Shimenawa) geschlungen, die wir ebenfalls bereits aus Okinawa kennen. Dies kennzeichnet die Bäume als heilige, mit einer spirituellen Aura versehene, anbetungswürdige Objekte, was man auch an den hinterlassenen Münzen zu ihren Füßen erkennen kann. Oft sind – wie hier – Zickzack-Streifen aus weißem Papier (Shide) in die Seile eingeflochten. Die gesamte Anlage steht in einem Hain von Kampferbäumen.
Noch sehenswerter als der Schrein selbst soll das direkt nebenan liegende Schatzhaus sein. Nach einem Sieg kehrten die Krieger zum Schrein zurück und brachten Oyamazumi die in der Schlacht getragenen Waffen und Rüstungen als Dankopfer dar. Auf diese Weise haben sich sagenhafte 80% aller Samurai-Artefakte, die als kulturelle und nationale Kostbarkeit gelistet sind, hier angesammelt. Viele Schaustücke der Sammlung werden bekannten historischen Persönlichkeiten zugeordnet, darunter Yoritomo Minamoto, Japans erstem Shōgun, sowie Tomoe Gozen, einer berühmten weiblichen Samurai des 12. Jahrhunderts.
Bestandteil der Ausstellung ist auch der Brustpanzer von Tsuruhime, Japans Jeanne d’Arc, die im 16. Jahrhundert lebte. Ihr Vater war der Oberpriester des Oyamazumi-Schreins, deshalb wird Tsuruhime auf Omishima besonders in Ehren gehalten. Seit ihrer Kindheit in der Kampfkunst ausgebildet, übernahm sie nach dem frühen Tod des Vaters und ihrer beiden Brüder im Alter von gerade mal 15 Jahren das Kommando über die Streitkräfte der Insel. Sie erklärte sich nicht nur zur neuen Oberpriesterin, sondern auch zum göttlichen Avatar eines dem Schrein innewohnenden Geistes (Kami). Zwei Jahre lang verteidigte sie Omishima im Rahmen der damals üblichen Nachbarschaftshändel erfolgreich gegen hartnäckige Eindringlinge aus Honshu, die sich von ihrem selbst verliehenen Gottheitsstatus offenbar wenig beeindruckt zeigten – bis sie eines Besseren belehrt wurden, alldieweil Tsuruhime einen ihrer Anführer im Duell tötete. Bei einem späteren Rachefeldzug fiel jedoch Tsuruhimes Verlobter. Aus Trauer soll sie im Alter von 17 rituellen Suizid begangen haben, indem sie sich ins Meer stürzte. Soweit die (verkürzte) Überlieferung – ein eigenes Bild können wir uns nicht machen, denn auch das Schatzhaus ist wegen Corona geschlossen. An verschiedenen Stellen im Ort sehen wir jedoch Statuen der Heldin. Am Ufer erinnert eine Skulptur an das tragische Ende; Tsuruhime, die bei Hochwasser bis zu den Knien im Wasser sitzt, hat von dort einen schönen Blick auf „Alumni“. Anzumerken bleibt, dass ihre Geschichte nicht wirklich verbrieft ist, obgleich es kampfstarke weibliche Samurai (Onna-musha) im vormodernen Japan tatsächlich gegeben hat. Ungeachtet dessen wird auf Omishima jedes Jahr im Juli ein Volksfest mit Prozession, Bootsparade und Ruderregatta zu Ehren von Tsuruhime veranstaltet.
Dem Schatzhaus angegliedert (und somit ebenfalls geschlossen) ist übrigens ein kleines Seefahrtsmuseum mit Hirohitos „Hayama Maru“ als wichtigstem Ausstellungsstück.
Auf dem Weg zurück zum Hafen kommen wir direkt durch den Ort und haben den Eindruck einer Geisterstadt – alle Restaurants, Cafés und kleinen Geschäfte sind zu, kein Mensch ist auf der Flaniermeile der Kleinstadt zu sehen. Einzig ein Supermarkt hat geöffnet; dort ernten wir aber keine freundlichen, neugierigen Blicke wie gewohnt, sondern die Menschen wirken verschlossen und reserviert. Dazu passt ein Telefonat, das wir mit Kirk geführt haben. Er berichtet, dass die Gemeindeverwaltung von Agenosho auf Suo-Oshima ihn offiziell gebeten hat, keine Besucheryachten mehr an seinen Ponton zu lotsen. Auch die paar anderen Segler, die es in diesem Jahr aus Mikronesien nach Japan geschafft haben, schildern in Emails ihre Probleme, überhaupt noch einen Liegeplatz zu finden. Dies alles bestätigt uns in unserer vor zehn Tagen getroffenen Entscheidung, den „Fast Track“ einzuschlagen – auf zum nächsten Ziel, unserem Langzeitquartier in Nio! Von Kathleen und Brian von der kanadischen „Pelorus Jack“, die wir in Pohnpei kennengelernt haben, hören wir noch, dass sie sich ganz in unserer Nähe befinden. Sie kämen gerne ein paar Tage in unsere Marina, sind dort aber abgewiesen worden. Mit Unterstützung von Kirk erwirken wir eine Sondergenehmigung und freuen uns auf das Wiedersehen.
Am 19. April laufen wir gegen 7 Uhr aus. Gleich am Anfang liegt der spannendste Teil der finalen Etappe: Die Straße von Kurushima, eine (die mittlere) von drei Meeresengen in der Inlandsee, an der man bei entsprechend starker Gezeitenströmung Wasserstrudel und Stromschnellen beobachten kann, zum Beispiel auf einer „Whirlpool-Tour“ mit dem Ausflugsboot. Sicher ein beeindruckendes Naturschauspiel, wir ziehen es jedoch vor, die Straße möglichst bei Stillwasser zu passieren.
Straße von Kurushima (Quelle: setouchifinder.com/visitehimejapan.com)
An der Engstelle wird es ziemlich voll – nicht nur wir wollen hindurch, sondern auch die gesamte Großschifffahrt sowie unzählige Fischerbötchen. Stellenweise fahren wir wie auf Schmierseife mal mit vier, mal mit zehn Knoten, doch das Wasser beruhigt sich auch schnell wieder.
Über uns wird die Meerenge von der vier Kilometer langen Kurushima Kaikyō-Brücke überspannt, eine kühne Konstruktion aus drei Hängebrücken in Serie. Es gibt insgesamt drei Straßenverbindungen zwischen Honshu und Shikoku; diese hier ist als Shimanami Kaido (oder Nishiseto Expressway) bekannt, eine 60 Kilometer lange Mautstraße, die über neun kleine Inseln und zehn Brücken führt. Interessant für begeisterte Radler, die nach dem besonderen Reiseziel suchen: Fahrräder haben hier separate Fahrbahnen und eigene Auffahrrampen mit geringeren Steigungen. Der Fernsehsender CNN Travel hat den Shimanami Kaido zu einem der sieben besten Radwege weltweit gekürt, und auch der Guide Michelin hat ihm einen Stern verliehen.
Eingebettet zwischen den Bergketten auf West-Honshu und Shikoku – dort, wo sich während der letzten Eiszeit noch eine Grabensenke befand, bevor das Meer im Zuge der Klimaerwärmung das Becken flutete -, bietet die Inlandsee sowohl während der Winterstürme aus dem Norden als auch in der Taifun-Saison guten Schutz. Dies gilt speziell für den zentralen Teil, in den wir gerade eingelaufen sind. Besonders die hohen Berge auf Shikoku mit ihren teilweise noch schneebedeckten Gipfeln, oft zum Greifen nahe, bilden nach Süden eine Barriere gegen die Wirbelstürme auf ihrer Hauptzugbahn entlang der pazifischen Küste („Allee der Taifune“). Die Kehrseite ist, dass in dem Revier häufig Windstille oder Schwachwind herrscht, was in Kombination mit dem Schiffsverkehr und den starken Strömungen die Nerven des Skippers manchmal etwas strapaziert und uns häufiger zum Starterknopf der Maschine greifen lässt als gewohnt. Aber die gute Abschirmung ist ja der wesentliche Grund, weshalb wir die Seto-Inlandsee angesteuert haben, in der auch Tsunamis unbekannt sind.
So laufen wir mit gutem Gefühl kurz vor 15 Uhr in die Marina ein und machen am Tankanleger fest. Dort erwarten uns bereits Marinamitarbeiter und Kirk, der für zwei Tage an Bord bleiben wird. Nach dem Tanken verlegen wir uns in die – etwas kurze – Box, die während unseres langen Deutschlandaufenthalts „Alumnis“ Zuhause sein wird. Heute ist Sonntag, daher ist der Hafen recht gut besucht und nimmt regen Anteil. Angesichts der zahlreichen vom Steg kommenden Kommentare und gutgemeinten Ratschläge beim Anlegemanöver kommt uns der Gedanke, dass bei aller Exotik des Landes die „Preußen Asiens“ den Deutschen in manchem vielleicht gar nicht so unähnlich sind. Wir erfahren, dass viele der Bootseigner in Tokyo oder einem anderen Ballungszentrum wohnen. Dort sind die Liegepreise so hoch, dass selbst unter Berücksichtigung der Anfahrtskosten am Wochenende das Liegen hier immer noch deutlich günstiger ist. Wir haben unseren Liegeplatz bereits im letzten September für ein volles Jahr gebucht. Vorausgegangen war eine umfangreiche Recherche im Internet (eine hilfreiche Adresse dabei: https://www.umi-eki.jp/en/), dann haben wir mit „Google Earth“ die Küstenlinien gescannt, um einen möglichst wenig exponierten Hafen zu identifizieren (Taifune, Tsunamis). Es blieben ein Dutzend Marinas übrig, bei den wir per Email angefragt haben – auf Englisch; heute würden wir den immer besser werdenden Übersetzungsprogrammen von Google oder Microsoft vertrauen und zusätzlich in Japanisch schreiben, denn der Rücklauf war äußerst dürftig. Glücklicherweise war bei den Zusagen Nio Marina dabei (über die Zentrale in Yokohama; die für internationale Kundenkontakte zuständige Minako spricht ausgezeichnet Englisch), die ohnehin zu unseren zwei oder drei Top-Favoriten gehörte.
Noch am selben Nachmittag läuft die „Pelorus Jack“ mit Kathleen und Brian ein. Wir verbringen an Bord von „Alumni“ einen netten kanadisch-deutschen Abend zu fünft, denn auch Kirk ist Kanadier. Am nächsten Tag unterstützt uns Kirk als Dolmetscher bei den Gesprächen mit Nakagawa-san, dem Marinamanager, über die während unserer Abwesenheit durchzuführenden Wartungs- und Überwachungsarbeiten (insbesondere auch die Sicherungsmaßnahmen bei Annäherung eines Taifuns), kleineren Reparaturen, die Koordinierung von Serviceunternehmen, Bootsreinigung etc. Nakagawa-san wird uns monatlich einen bebilderten Bericht zusenden – alles bestätigt unseren Eindruck, dass „Alumni“ hier gut aufgehoben ist.
Neben dem Marinamanager wird Kirk weiterhin ein Auge auf „Alumni“ haben. Er wird eine Werft für das Kranen und den neuen Unterwasseranstrich vor unserer Abreise organisieren. Vielleicht kann er uns auch einen Ersatz für unseren pensionierten „Bordingenieur“ John und Wendy vermitteln. Wir machen ja prinzipiell keine Werbung auf unserer Homepage, doch wer das Optimum aus seinem Segeltörn in diesem Land, meist mit viel zu wenig Zeit, herausholen möchte, für den lohnt ein Gespräch mit Kirk. Einen Überblick über die gebotenen Leistungen kann man seiner Webseite Japan Cruising Support – Konpira Consulting: Opening Japan’s Oceans entnehmen.
Kirk mit seinem kleinen Familienteam von „Konpira Consulting“
Nach einem weiteren gemeinsamen Abend fährt Kirk mit dem Zug nach Fukuoka zurück und schickt uns ein Foto aus seinem Großraumwagen. Obgleich in den Metropolregionen wie Tokyo oder Osaka/Kobe die Corona-Zahlen rasant ansteigen, gibt es in Japan keinen formellen Lockdown. Dies ist auch nicht erforderlich – wenn die Regierung die Bevölkerung bittet, darüber nachzudenken, ob man auf die eine oder andere Fahrt oder den einen oder anderen Kontakt nicht vielleicht doch verzichten könnte, sehen die normalerweise stets gut gefüllten Züge so aus:
Die zunehmenden Mobilitätseinschränkungen betreffen also nicht nur uns Segler, sondern alle im Land.
Wir verbringen noch ein paar nette Abende mit Kathleen und Brian, dann heißt es auch hier Abschied nehmen. Die beiden wollen noch in diesem Jahr über Hokkaido, die Aleuten und Alaska nach Hause segeln, also genau die Route einschlagen, die auch wir vorhaben, wenn Corona es zulässt. Es war eine schöne Zeit mit den beiden, und wir versprechen, sie in ihrem Heimathafen in British Columbia zu besuchen.
Inzwischen sind wir mit unseren freundlichen Stegnachbarn, Junko und Toshio von der „Mar Azul III“, näher in Kontakt gekommen, was dadurch erleichtert wird, dass beide Englisch sprechen. Wir laden uns gegenseitig auf unsere Boote zum Dinner ein und verbringen zwei lustige Abende miteinander, bei denen wir auch wieder viel über die japanische Kultur lernen. Besonders von der schönen japanischen Kunst des Geschenkeschenkens sind wir beeindruckt und ganz gerührt: Am ersten Abend erzählen wir, dass Sylvias Patenkind vor zwei Tagen ihr erstes Baby bekommen hat. Schon bei unserem Treffen am nächsten Abend überreichen Junko und Toshio ein nett eingewickeltes Päckchen – mit einem Paar Babyschuhe für die kleine Marie! – Wir feiern gemeinsam die Ankunft der neuen Erdenbürgerin im gut 9.000 Kilometer entfernten München.
Toshio lädt mich zur Sonntags-Clubregatta auf der „Mar Azul III“ zusammen mit seinem Freund Tado ein. Definitiv etwas für Leichtwindspezialisten, aber ein unterhaltsames Event!
Als einen der letzten Akte, um „Alumni“ außer Betrieb zu nehmen, bergen wir die drei Rollsegel und machen sie für den Versand zum Segelmacher in Yokohama fertig, wo sie sorgfältig gecheckt werden, denn vor Alaska wird es keine Servicemöglichkeit mehr geben. Zusammen sind das 250 qm oder 160 kg – wir sind dankbar, dass sich wieder der halbe Hafen beteiligt, diesmal nicht durch Ratschläge, sondern tatkräftig!
Mit unserem Rückflug gibt es noch einiges Hin und Her; Flüge werden verschoben oder ganz gestrichen. Grundsätzlich alles kein Problem, aber bei der Kommunikation bekleckert sich Lufthansa wahrlich nicht mit Ruhm. Letzter Buchungsstand: Am 30. April morgens Zubringerflug mit der japanischen ANA vom nahegelegenen Regionalflughafen in Takamatsu nach Haneda, das ist der stadtnahe, zweite Flughafen Tokyos, über den zur Zeit der noch verbleibende Europaverkehr abgewickelt wird; gegen 14 Uhr Weiterflug nach Frankfurt (alles gebucht über Lufthansa). Als wir mit einem Taxifahrer den Transfer zum Regionalflughafen vereinbaren wollen, antwortet dieser, dass er uns natürlich gerne dorthin bringen würde, nur dass es an diesem Morgen gar keinen Flug nach Tokyo gäbe – annulliert, wie wir also von unserem Taxifahrer (!) erfahren. Ohne seinen Hinweis hätten wir den Anschlussflug verpasst. Nach ein paar hektischen Stunden unter Einschaltung aller verfügbaren Kanäle sichern wir uns schließlich noch zwei Plätze in der Nachmittagsmaschine vom Vortag und legen eine Hotelübernachtung in Tokyo ein.
Anflug auf Tokyo-Haneda
Vor dem Einsteigen in die Deutschland-Maschine werfen wir einen Blick auf die Anzeigetafel im Abflugterminal, der uns wieder etwas mit Lufthansa aussöhnt: Alle internationalen Flüge sind gestrichen, mit Ausnahme unseres Flugs nach Frankfurt!
In der Kabine herrscht eine ungewöhnliche, fast betretene Stille. Weniger als die Hälfte der Plätze um uns herum ist besetzt, davon überwiegend von Piloten, die nach Europa zurückgeholt werden und nicht wissen, wann sie ihren nächsten Einsatz haben. Auch die uns betreuende nette Flugbegleiterin macht sich Sorgen um ihre Zukunft. Sie ist in den beiden letzten Monaten praktisch nicht geflogen; der Einsatzplan für den Mai ist ebenfalls noch leer. Rund 10.000 Lufthansa-Beschäftigte sollen in einem ersten Schritt „abgebaut“ werden. Dagegen ist unsere Ungewissheit trivial. Wir verbreiten Optimismus und mutmaßen, dass wir uns im nächsten Jahr auf dem Rückflug nach Tokyo wiedersehen werden.
Am Nachmittag vorher hatten wir beim Zubringerflug nach Tokyo folgenden Blick auf den Vulkankegel des knapp 3.800 Meter hohen Fuji-san:
Unter Seefahrern heißt es, wer beim Abschied aus Japan den Fuji sieht, wird wiederkommen. Doch auch wir fragen uns: Wann wird dies sein?
Guten Tag Sylvia, Org,
vielen Dank für den weiteren Reisebericht der wieder sehr informativ war.
Eure Recheren sind überwältigend; so kann ich Japanauf dem Papier in weiten Teilen verstehen, ohne dort gewesen zu sein.
Die Navigation erscheint mir sehr anspruchsvoll; gibt es auch einheimische Seekarten neben den digitalen Programme? Und wie sind die lesbar.
Speziell in den Inland Seen scheint das vonnöten, da Sichtnavigation m.E. angegagt ist.
Stellnetze der Fischer und die Fischer selbst können ganz hinderlich sein, wie wir in Spanien erlebten.
Whirls, Overfalls und Eddies haben uns vor der englischen Küste auch Spaß gemacht. Mit starker Maschine kein Problem.
Eine vernünftige Maßnahme:
In Anbetracht unserer Energiekosten wäre ein Tisch mit Grube sehr angebracht; leider nicht für das Schwimmbad geeignet.
Freut Euch auf Eure Reise im Mai und nochmals vielen Dank für Eure Reiseberichte
Margret und Peter
So,heute hab ich mir diesen Abschnitt gegönnt….den Mauri (Maori) Sprachhinweis fand ich besonders interessant…..
wieder sympathisch und Hut ab vor der Nautic-Kompetenz….