Zwischenfall auf Taveuni

Am 23. Mai hat sich das tropische Tief „TD12F“ so weit zurückgebildet, dass keine Zyklongefahr mehr besteht. War es das Gläschen neuseeländischen „Sparklings“ an unserem gestrigen Hochzeitstag, das gegen verschiedene Formen von „tropical depression“ wirkt? Jedenfalls können wir heute unseren schönen Ankerplatz verlassen und fahren ostwärts entlang der Südküste von Vanua Levu. Bei viel Restschwell von der Seite und wenig Wind von achtern besteht allerdings keine Chance, die Segel vernünftig zum Stehen zu bringen, und so müssen wir motoren. Nachmittags, als wir nach 30 Seemeilen durch das Außenriff in die gut geschützte Ankerbucht Fawn Harbour einfahren, ist die Maschine länger gelaufen als auf der gesamten Strecke von Neuseeland nach Fidschi.

 

 

Wir sind die einzige Yacht in Fawn Harbour. Als sich gegen Abend die Hitze etwas legt, lassen wir unser Dinghi zu Wasser, um der hier ansässigen Familie unsere Aufwartung zu machen. Diese Sevusevu genannte Zeremonie ist kein folkloristisches Brauchtum, sondern tief im lokalen Eigentums- und Besitzverständnis verwurzelt und sogar gesetzlich geregelt. Demnach ist der Staat ultimativer Eigentümer aller (hoheitlichen) Gewässer. Zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts steht jedoch den Bewohnern des nächstgelegenen Dorfes das alleinige Nutzungsrecht von Strand, Lagune und Riff – einem als iQoliqoli bezeichneten Gebiet – zu. Jeder andere, der hier fischen, ankern oder gar ein Hotel bauen möchte, braucht daher die Zustimmung des Dorfes bzw. seiner Repräsentanten.
Noch bevor wir das Ufer erreichen, treffen wir auf ein kleines Boot mit Angehörigen der Besitzerfamilie, die auf dem Weg zum nächtlichen Fischfang in der Lagune sind. Nach längerer Unterhaltung werden wir herzlich für den nächsten Tag zum Besuch an Land eingeladen. Wir übergeben das obligatorische Kavabündel mit Hinweis auf unseren engen Reiseplan und sind zufrieden, dass dies sozusagen als verkürztes „ad hoc“-Sevusevu akzeptiert wird.

 

 

Unser nächstes Ziel ist Taveuni, drittgrößte Insel des Archipels. Leider gibt es auf Taveuni keine wirklich geschützten Ankerplätze. Wir entscheiden uns für das Taveuni Paradise Resort im Süden der Insel, das ein paar Moorings unterhält. Die Moorings sind allerdings bei Wind aus den westlichen und nördlichen Quadranten nicht benutzbar – und genau von daher weht es, wenn auch nur mit 10 bis 15 Knoten. Nach einem weiteren Liegetag in Fawn Harbour gibt Allan, der Resortchef, dann aber per Email grünes Licht: Für die nächsten Tage ist sehr ruhiges Wetter angesagt, und die See vor dem Resort habe sich weitgehend geglättet.

Die Passage von Vanua Levu über die Somosomo-Straße nach Taveuni ist nur kurz. Uns wird die stärkste Mooring zugewiesen und mitgeteilt, dass wir selbstverständlich den Pool und alle anderen Einrichtungen des idyllisch gelegenen, sehr gepflegten kleinen Resorts mit nutzen dürfen. Alle Mitarbeiter sind ausgesprochen entgegenkommend und aufgeschlossen.

 

 

Wir verbringen einen herrlichen Abend unter traumhaftem Sternenhimmel und lassen uns mit Spezialitäten der regionalen Küche verwöhnen. Die meisten Gäste sind amerikanische Tauchtouristen – in unmittelbarer Nähe liegen Tauchplätze von Weltrang wie das Rainbow Reef und die Great White Wall, wo ich selbst gerne einmal wieder tauchen würde.

Am nächsten Morgen, es ist Sonntag, schließen wir uns jedoch zunächst zwei sympathischen jungen „Honeymoonern“ aus Iowa zu einer Inselrundfahrt im Hotel-SUV mit Guide an. Die Küstenstraße besteht in weiten Teilen aus einer schlaglochreichen Schotterpiste. Außer dem Hauptort mit dem Fähranleger gibt es nur ein paar kleinere Ansiedlungen. Beeindruckend ist vor allem die üppige tropische Vegetation, weshalb Taveuni auch als „Blumen- und Garteninsel“ bekannt ist. Das strahlende Sonnenwetter auf unserem Ausflug ist alles andere als selbstverständlich – es regnet hier ganzjährig viel.

 

 

Taveuni ist das Zentrum des Gemüseanbaus in Fidschi. Auch das begehrte Kava stammt größtenteils von hier, jedoch hat der letzte schwere Zyklon die meisten Anpflanzungen zerstört, weshalb der Kava-Preis in Fidschi in den letzten Jahren geradezu explodiert ist.

Unser Hauptziel ist der Bouma National Heritage Park am anderen Ende der rund 50 Kilometer langen Küstenstraße. Hier unternehmen wir eine Wanderung zu den Tavoro Falls, meist durch dichten Regenwald, immer wieder aber auch mit herrlichen Ausblicken auf die Küste.

 

 

Das nächste Highlight erreichen wir ebenfalls über einen holprigen Pfad durch den Regenwald, nachdem wir das örtliche Gefängnis mit den uns freundlich zuwinkenden Insassen passiert haben: die etwa 300 Meter lange Waitavala-Wasserrutsche, die durch das Bett eines rauschenden Wildbachs geformt wird. Unser Guide und der Honeymooner stürzen sich mutig in die Fluten und rutschen den steilen Bachlauf hinunter, abgebremst nur in dem einen oder anderen Naturbecken – während wir uns das Spektakel aus sicherer Entfernung vom Ufer aus anschauen.

 

 

Obgleich sich die Felsen im Bachbett im Laufe der Jahrzehnte vermutlich glattgeschliffen haben, wirkt unser ungestümer Honeymooner nach zwei Rutschdurchgängen mit etlichen Schrammen und blauen Flecken etwas lädiert. Doch das eigentliche Unglück geschieht an anderer Stelle: Sylvia, die sich bereits wieder auf den Rückweg gemacht hat, macht offenbar einen falschen Tritt und stürzt auf ihr linkes Handgelenk. Aufgrund des, wie sie sagt, ekligen Geräuschs berstender Knochen ist ihr sofort klar, was passiert ist: Das Handgelenk ist gebrochen.

Glücklicherweise ist die Fahrt über die Holperpiste zum kleinen Inselkrankenhaus nicht allzu weit. Dafür müssen wir lange warten, bis sich der einzige diensthabende Arzt Sylvias Hand annehmen kann, denn er muss sich an diesem Sonntag – neben den bereits vorhandenen Patienten – um alle in kurzem Takt eintreffenden neuen Notfälle kümmern: zwei Schwangerschaftskomplikationen, eine akute Blinddarmentzündung, eine schwere Verbrennung am Kopf (häufige Verletzung in Ländern, in denen am offenen Feuer gekocht wird) und mehrere schreiende Babys. Da die Patienten jeweils von ihrer ganzen Familie begleitet werden, ist der lange Notaufnahmeflur zum Bersten gefüllt. Auch eine am „schwarzen Brett“ hängende Dienstanweisung für das Krankenhauspersonal, welche amtlichen Schritte bei der Einlieferung bereits Verstorbener einzuleiten sind, hebt nicht gerade unsere Stimmung – ebenso wenig wie das gut gemeinte Angebot eines Patientenangehörigen, kräftig an Sylvias Hand zu ziehen („So machen wir das hier bei Knochenbrüchen!“). Schließlich ist sie endlich an der Reihe, und es werden sogar zwei Röntgenaufnahmen gemacht, die unsere Befürchtungen bestätigen: Der kompetente junge Arzt stellt fest, dass es sich um eine komplizierte Fraktur handelt. Nach kurzer Beratschlagung beschließen wir, das Handgelenk hier nur ruhigzustellen und alles andere so schnell wie möglich durch eine in jedem Fall notwendige Operation in Deutschland richten zu lassen.

Als wir spät abends im Resort eintreffen, hat sich das Missgeschick längst herum gesprochen, und Sylvia erhält von allen Seiten besorgte Nachfragen, Genesungswünsche und auch einige fachkundige Ratschläge.

 

 

Ich quartiere sie für die Nacht im Resort ein und fahre allein zurück zum Schiff. Es ist einiges zu arrangieren: Umbuchung der Flüge, Vorverlegung unseres Ankunftsdatums in der Marina von Port Denarau um einen Monat mit Hinweis auf den medizinischen Notfall, denn die Marina ist eigentlich voll ausgebucht, Organisieren der medizinischen Versorgung in Deutschland, worum sich meine Schwester kümmert. Bis zum nächsten Vormittag ist alles erledigt – erwähnenswert finde ich, dass Singapore Airlines aufgrund der Umstände davon absieht, die vereinbarte Umbuchungsgebühr zu erheben.

Auch meine Sorge, wie ich Sylvia zurück an Bord bekomme, löst sich schnell auf: Über die Badeplattform und mit tatkräftiger Unterstützung eines Resortmitarbeiters gelingt dies viel leichter als erwartet.  Die Schmerzen sind dank einer Kurpackung entsprechender Mittel aus dem Krankenhaus und ausreichender Bordbestände erträglich. Nachmittags, einen Tag nach dem Unfall, werfen wir die Leinen los und segeln – bei sogar schönen Bedingungen – in zwei Nachtfahrten bis Port Denarau im Westen der Hauptinsel Viti Levu, wo wir am Mittwochmorgen ankommen. Diesen und den nächsten Tag benötigen wir, um „Alumni“ auf die viermonatige Liegezeit vorzubereiten und die amtlichen Formalitäten zu erledigen. Die Marinamitarbeiter und die Besatzung einer neben uns liegenden lokalen Charteryacht freuen sich wie die Schneekönige über die für uns nun obsolet gewordenen Tiefkühlvorräte für mehr als einen Monat, vor allem Lamm- und Rinderfilets aus Neuseeland. Sie werden während unserer Abwesenheit ein waches Auge auf „Alumni“ werfen!

Am Freitag treten wir den Rückflug über Auckland und Singapur nach Deutschland an, wo wir am Sonntagmorgen landen. Montags Einlieferung ins Krankenhaus – die Röntgenaufnahmen hatten wir noch von Fidschi per Handy in die Essener Unfallklinik geschickt (und die Bestätigung erhalten, dass es sich um einen Trümmerbruch handle, samt Einstufung als chirurgisch „interessante Aufgabe“). Am Dienstag dann die OP, die gut verläuft. Auch die weitere Rekonvaleszenz gestaltet sich bisher komplikationsfrei, so dass wir zuversichtlich sind, unsere Segelreise Mitte Oktober planmäßig fortsetzen zu können. Bei allem Pech, dass es überhaupt zu dem Unfall gekommen ist, hätte es danach also kaum besser laufen können – mit einer kleinen Einschränkung: Da im November bereits wieder die Zyklonzeit in der südlichen Hemisphäre beginnt, werden wir nach unserer Rückkehr zügig nach Norden in Richtung Äquator und Mikronesien aufbrechen. Die südlichen Inseln der Lau-Gruppe, bis vor wenigen Jahren für Segler nicht zugänglich und daher als „Fidschis verbotene Inseln“ bezeichnet, die wir in diesem Jahr eigentlich intensiv bereisen wollten, werden vor diesem Hintergrund für uns wohl auf ewig die „verbotenen Inseln“ bleiben…



3 Kommentare

  • Kirsten und Wolfram # Direkt antworten

    Lese gerade Euren, trotz der Umstände, sehr coolen und sachlichen Bericht. Man merkt an jeder Stelle die unaufgeregten Profis. Ich hoffe, es geht Deinem Handgelenk, liebe Sylvia, besser.
    Wir können nur von der Nordsee, Weser, Elbe und Baldeneysee berichten. Ist grauer als bei Euch.
    Bis demnächst in Essen,
    Kirsten und Wolfram

  • Dieter Dreyer # Direkt antworten

    Liebe Sylvia, lieber Org, schlimmer geht es wirklich nicht. Karla nd ich wünschen Dir, liebe Sylvia, eine geduldige „Wiederherstellung“ mit Schmerzen, die sich im Rahmen halten.
    Auch wir kämpfen mit einigen gesundheitlichen Problemen.
    Wenn sich alles ein wenig beruhigt hat, freuen wir uns doch noch auf ein evtl. Treffen mit Euch.
    Bis dahin – keep fingers crossed – und alles erdenklich Gute
    Karla und Dieter

  • Monika und Günter # Direkt antworten

    Liebe Sylvia, lieber Org,
    da denkt man, das Befahren der Sieben Weltmeere sei eine risikoreiche Angelegenheit und nun stellt sich heraus,
    dass der Wanderer sich weitaus größeren Gefahren gegenübersieht.
    Sylvia, der letzte Törn nach Port Denerau muss schon ein besonders harter gewesen sein und Geduld musst du ja bewiesen haben in der Woche,
    bevor du „unters Messer“ kamst. Wir wünschen dir einen guten Heilungsverlauf und freuen uns auf ein Wiedersehen im Juli.
    Liebe Grüße
    Monika und Günter
    P.S.: Unser kanadischer Freund Ron hat 1963 mit seiner Freundin Annie eine Reise nach Abu Simbel gemacht und dort einen
    amerikanisches Seglerpaar kennengelernt, das mit seiner Ketch den Nil befuhr und darüber ein Buch geschrieben hat.
    Da habe ich gerade mit großem Interesse gelesen:
    Irving and Electa Johnson : Yankee sails The Nile

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