Nachdem wir „Alumni“ in der Marina Verolme bei Angra dos Reis gut aufgehoben wissen, wechseln wir für drei Wochen in den „land cruising mode“, wie es unsere neuseeländischen Freunde John und Wendy nennen. Wir wollen wenigstens einige Teile dieses Landes der Superlative und Kontraste, das überwältigend, manchmal aber auch verstörend ist, näher kennenlernen.
1. Minas Gerais
Paraty am anderen Ende der Baía da Ilha Grande hat uns so gut gefallen, dass wir ein paar Tage mit einem Leihwagen in die Berg-und-Tal-Welt von Minas Gerais fahren, wo es weitere wunderbar erhaltene Städtchen der Kolonialzeit zu entdecken gibt. Im 18. Jahrhundert wurde in dieser Region mehr als die Hälfte der weltweiten Goldmengen gefördert. Es war das Goldene Zeitalter Brasiliens, und für diesen Reichtum dankte man mit üppig ausgestatteten Kirchen, prachtvollen Altären und Deckengemälden, die bis heute zu bewundern sind. Eine der Barockstädte in Minas Gerais ist das charmante, aber auch recht touristische Tiradentes. Der Ort ehrt mit seinem Namen den brasilianischen Nationalhelden Joaquim José da Silva Xavier, der für die Unabhängigkeit von der portugiesischen Kolonialmacht kämpfte und seinen Lebensunterhalt unter anderem als „Zahnzieher“ (tiradentes) verdiente.
Die Hauptkirche Matriz de Santo Antônio ist ein schönes Beispiel für die Barock- und Rokoko-Architektur Brasiliens. In ihrem Schatten liegt die Igreja de Nossa Senhora do Rosário dos Pretos, die kleinste und älteste Kirche Tiradentes. Sie wurde von Sklaven für Sklaven gebaut – auch die Statuen ihrer Heiligen sind schwarz.
Da in Tiradentes alle Pousadas ausgebucht sind, übernachten wir im wenige Kilometer entfernten São João del-Rei, das uns gut gefällt, obgleich es in unserem Reiseführer nicht einmal erwähnt wird. Es ist ein lebendiger Ort ohne das Flair eines Freilichtmuseums, in dem Straßencafés und Bars bis spät in den Abend gut besucht sind und Alt wie Jung lauthals zu den Darbietungen der Straßenmusikanten mitsingen.
Igreja de Nossa Senhora do Carmo
Igreja de São Francisco de Assis
An der kleinen, unscheinbaren Bergbau- und Metallverarbeitungsstadt Congonhas würde man sicher vorbeifahren, gäbe es dort nicht die Basílica do Senhor Bom Jesus de Matosinhos. Zwölf lebensgroße Statuen der alttestamentlichen Propheten säumen die Freitreppe vom Vorplatz zur Wallfahrtskirche. Die Skulpturen halten Schriftrollen in ihren Händen, die sechs gute und sechs schlechte Botschaften verkünden. Sie wurden von Aleijadinho, dem „brasilianischen Michelangelo“, in Speckstein gehauen und gehören zu den herausragendsten Stücken des barroco brasileiro.
Congonhas
Aleijadinho war der Sohn eines berühmten portugiesischen Architekten und einer afrikanischen Sklavin. Er setzte seine Arbeit als Baumeister und Bildhauer auch dann noch fort, als er bereits durch eine lepraähnliche Erkrankung entstellt und an Armen und Beinen gelähmt war, indem er sich Hammer und Meißel an die Arme binden ließ (aleijadinho bedeutet „Krüppelchen“).
Die letzte Station dieser Rundfahrt ist Ouro Preto, Unesco-Weltkulturerbe und bedeutendste der Goldgräberstädte von Minas Gerais.
Sklaven holten in nur 50 Jahren über 500 Tonnen Gold aus den Minen der Stadt, die noch heute viel von ihrem einstigen Reichtum ausstrahlt. Verwinkelte Gassen mit Kopfsteinpflaster führen über malerische Plätze vorbei an den drei wichtigsten Kirchen der Region. Eine dieser Kirchen wurde von Aleijadinhos Vater im Auftrag des Karmeliter-Ordens erbaut, der einzigen in Ouro Preto mit portugiesischen Kacheln (azulejos).
Igreja de Nossa Senhora do Carmo
Nur wenig später erhielt Aleijadinho die Chance, sich mit seinem Vater zu messen, als er die Kirche für die Franziskaner von Ouro Preto errichten sollte. Tatsächlich gelang ihm ein Meisterwerk der brasilianischen Baukunst. Es ist ein großer Wurf mit einer neuen Formensprache – ein achteckiger Grundriss mit zurückversetzten, runden Türmen statt der traditionellen geradlinigen Fassade; mehr Plastizität, Schwung und ausdrucksvollere Reliefs. Auch die Holzschnitzereien und Skulpturen im Kircheninneren schuf Aleijadinho selbst.
Igreja de São Francisco de Assis
Die Kirche Nossa Senhora do Pilar schließlich ist die reichste von Minas Gerais und in üppigstem Barock ausgestattet – über 400 Kilogramm Gold und Silber wurden für ihre Ausschmückung verwendet.
Basílica Menor Nossa Senhora do Pilar
Nach siebenstündiger Autofahrt sind wir für ein paar Tage zurück an Bord, erledigen die finalen Zollformalitäten in Angra dos Reis und bereiten uns auf die weiteren Etappen unserer Tour vor. Dazu sind wir ab jetzt auf den Flieger angewiesen, denn die Entfernungen sind riesig: Die Landfläche Brasiliens ist 24-mal so groß wie die Deutschlands (bei 2 1/2-mal so vielen Einwohnern).
2. Salvador de Bahia
Nächstes Ziel ist Salvador de Bahia, die afrikanische Seele des Landes, einstmals Zentrum des Sklavenhandels auf der Südhalbkugel – noch heute sind 80 Prozent der Bevölkerung dunkelhäutig – und erste Hauptstadt Brasiliens. Salvador knüpft nahtlos an unsere bisherige Reise an, denn hier im Nordosten des Landes finden sich weitere Höhepunkte kolonialer Architektur. Die Altstadt wird von einer steilen Klippe in eine Oberstadt (cidade alta) und eine Unterstadt (cidade baixa) geteilt (wie Helgoland – damit enden die Gemeinsamkeiten aber auch schon). Das weitläufige historische und kulturelle Zentrum mit dem pulsierenden Viertel Pelourinho befindet sich in der Oberstadt. Direkt am Largo do Cruzeiro de São Francisco, neben der prachtvollsten Kirche Salvadors, liegt auch unser charmantes, kleines Hotel mit Straßenterrasse und Panoramablick auf Pelourinho.
Hotel „Villa Bahia“ an der Igreja de São Francisco
Largo do Cruzeiro de São Francisco
Igreja de São Francisco
Die Igreja de São Francisco ist innen ein fast schon zu üppiges goldenes Kunstwerk von verschwenderischem, unfassbarem Reichtum. Doch an vielen Stellen (zum Beispiel auf der linken Seite des Fotos) erkennt man, dass die Holzschnitzereien – mit angeblich 600 Kilogramm Blattgold überzogene Ornamente und etwas grobschlächtig geratene Putten – nicht von ausgebildeten Künstlern, sondern von Schiffszimmerleuten stammen. Jedenfalls stehen sie nach unserem Empfinden in einem merkwürdigen Kontrast zu den feingliedrigen Heiligenstatuen, meist Exponate europäischen Ursprungs.
Die Kirche bildet ein Ensemble mit dem Convento de São Francisco. Im Klosterhof erschreckt uns der Zustand des Kreuzgangs, wo kostbare portugiesische Fliesenbilder dem Verfall preisgegeben sind.
Ein Schandpfahl (pelourinho) an dem abschüssigen, spitzwinkligen Platz in der Altstadt, an dem in erster Linie „aufmüpfige“ Sklaven ausgepeitscht wurden, gab dem Viertel seinen Namen. Dessen pastellfarbenen Häuserzeilen sind der größte zusammenhängende Barockkomplex in der Neuen Welt und nicht nur Salvadors Postkartenidylle schlechthin, sondern seit 1985 auch UNESCO-Weltkulturerbe. Durch das Engagement der UNESCO flossen die nötigen Mittel für die überfälligen Restaurationsarbeiten in das Viertel. Glücklicherweise erinnert heute nichts mehr an das heruntergekommene, von Kriminalität, Drogenhandel und Rotlichtszene geprägte Pelourinho von damals, das der Sänger Gilberto Gil, eine Ikone der bahianischen Musik, als „größten Barock-Slum der Welt“ bezeichnete.
Largo do Pelourinho
Auf dem Balkon, von dem Michael Jackson in einem Videoclip vor fast 20 Jahren seinen Welthit „They Don’t Care About Us“ – eine musikalische Anklage gegen rassistische Vorurteile, Hass und soziale Ungerechtigkeit – herausschrie, erinnern heute ein Poster und ein „Celebrity Cutout“ an den Megastar (man entschuldige den Anglizismus, klingt aber einfach cooler als das deutsche „Pappkamerad“). Das Musikvideo macht die Intensität, die Dynamik und den über allem liegenden Rhythmus der Stadt greifbar und ist allein deshalb immer noch sehenswert. Zweiter Drehort war übrigens die Favela Santa Marta in Botafago (Rio).
Michael Jackson – They Don’t Care About Us (Brazil Version) (Official Video) – YouTube
Auf den Straßen posieren baianas mit ihren weiten Trachtenröcken und Turbanen.
Die alte Kathedrale des Ortes, eine der größten, wenn nicht die größte Südamerikas, kann man nicht mehr bewundern. 1933 beschlossen der Bürgermeister und der Bischof ihren Abriss, um Platz für eine Wendeschleife der Straßenbahn zu schaffen. Man sagt, die Aktion wurde von Rom nur deshalb genehmigt, weil die beiden dort Fotos einer alten, verfallenen Kirche statt von der Kathedrale vorgelegt hätten. Der Grundriss der Kathedrale ist heute im Pflaster des Platzes eingelassen, die Straßenbahn ist schon 20 Jahre nach dem umstrittenen Abriss wieder stillgelegt worden. Das „Mahnmal des gefallenen Kreuzes“ (Monumento da Cruz Caída) erinnert an dieses „Verbrechen an der Geschichte Salvadors“.
Die Gedenktafel mit der Kathedrale befindet sich am Praça da Sé, am Fuß des Denkmals für den ersten Bischof der Stadt. Dieser wurde 1556 von Ureinwohnern gefangen genommen und verspeist.
Der in der Jugendstilzeit erbaute Elevador Lacerda verbindet die Ober- mit der Unterstadt. Von hier überblicken wir die „Allerheiligenbucht“ (Bahia de Todos os Santos), eine der größten Buchten des Südatlantiks, die Amerigo Vespucci just an diesem Tag 1501 entdeckte. Das wirtschaftliche Leben findet tagsüber vor allem 70 Meter tiefer, im Büro- und Geschäftszentrum (comércio) der Cidade Baixa, statt. Im ehemaligen Zollhaus (rechts unten auf dem Foto) zieht der Mercado Modelo mit brasilianischem Kunstgewerbe die stoßweise von den Kreuzfahrtschiffen an Land gespülten Touristen an. Links unten direkt am Meer liegt die repräsentative Hafenverwaltung (Capitania dos Portos da Bahia). Die überdimensionale Skulptur davor heißt im Volksmund „Hintern des Bürgermeisters“. Das auf einem Riff errichtete, kreisrunde Fort São Marcelo, einst Teil eines ausgeklügelten Systems von Befestigungsanlagen der Stadt, schützt heute nur noch den kleinen Yachthafen.
An der Meerenge, die vom Atlantik in die Allerheiligenbucht führt, liegt auf der Halbinsel Itapagipe das Fort Santo Antônio mit dem ältesten Leuchtturm Südamerikas, dem Farol da Barra.
Auch in Salvador wuchern am Rand der Altstadt Favelas, deren Bewohner den gleichen Problemen einer Armuts- und Gewaltspirale ausgesetzt sind, wie wir sie in Rio kennengelernt haben.
Wir beenden unseren Rundgang durch Salvador mit einem versöhnlichen Ausblick: Hier, in der Arena Fonte Nova, schlug die deutsche Fußballmannschaft gleich in ihrem ersten Spiel der WM 2014, fast auf den Tag genau vor einem Jahr, mit dem 4:0 gegen Portugal einen ersten Pflock für den späteren Triumph ein.
An unserem letzten Abend in Salvador besuchen wir eine Aufführung der international bekannten Folklore-Tanzgruppe Balé Folclórico da Bahia im Teatro Miguel Santana mitten in Pelourinho. Furioser Abschluss des Tanzspektakels mit bunten Kostümen, Live-Percussion und schönen Gesängen ist die capoeira, der traditionelle brasilianische Kampftanz.
Adeus Salvador! – Die Stadt hat uns sehr gefallen, doch nach so viel Barock freuen wir uns auf eine Reise in die Moderne.
3. Brasília
Am Anfang stand die Grundidee zweier sich kreuzender Linien. Sie sollten die Lage der neuen Hauptstadt nahe dem geografischen Zentrum des föderativen Staats markieren, und zwar auf dem „neutralen“ Gebiet der Planalto Central do Brasil, einem Plateau 1.150 Meter über dem Meeresspiegel fernab jeder Zivilisation.
Espaço Lúcio Costa (Brasília)
Die Entstehungsgeschichte Brasílias, die bereits in der brasilianischen Verfassung von 1891 als Auftrag an die politischen Organe angelegt ist, sich aber erst vor 60 Jahren am Reißbrett konkretisierte, ist wirklich faszinierend. Treibende Kraft zur finalen Umsetzung der futuristischen Metropole war der damalige Präsident Juscelino Kubitschek, der das Wahlversprechen abgegeben hatte, endlich den „Marsch ins Landesinnere“ durchzuführen – nach der jahrzehntelangen Verzögerung aufgrund von Geldknappheit, Widerständen aus der alten Hauptstadt und politischen Wirren . “In fünf Jahren 50 Jahre überspringen” – so lautete sein Marschbefehl.
Mit der Umsetzung selbst wurden die Corbusier-Schüler Oscar Niemeyer als Architekt und Lúcio Costa als Stadtplaner beauftragt. Costas skizzenhafter Grundriss, den er erst in der letzten Minute vor Ablauf der Ausschreibungsfrist eingereicht hatte, gleicht einem Flugzeug, an dessen Spitze – sozusagen im Cockpit – das Regierungsviertel liegt. Wie zwei Tragflächen reihen sich über zwölf Kilometer die als „Superquadras“ bezeichneten Wohnblöcke und die zu Clustern zusammengefassten kommerziellen Funktionen aneinander. Beabsichtigt ist das Bild des Flugzeugs aber wohl nicht, vielmehr hat Costa die Querachse des Kreuzes wegen der landschaftlichen Gegebenheiten gekrümmt.
Der Stadtplaner und sein „Plano Piloto“ im Espaço Lúcio Costa (Brasília)
Bereits vier Jahre, nachdem der Schnittpunkt durch die beiden Feldwege markiert war, wurde Brasília zur Hauptstadt des Landes. Heute umfasst die Metropolregion fast drei Millionen Einwohner. Es ist die jüngste Stadt weltweit mit dem Status des UNESCO-Weltkulturerbes.
Wir haben einen Tag, um uns ein Bild vom „Wunder der Moderne“ zu machen – und einen engagierten, deutschstämmigen wie -sprachigen Fremdenführer aus Santa Catarina im Süden Brasiliens, der uns begleitet. Auch sein Auto ist wichtig, will man lange Fußmärsche in der im Übrigen nicht sehr fußgängerfreundlich konzipierten Stadt vermeiden: Die wichtigsten Bauwerke entlang der sogenannten Monumental-Achse (Eixo Monumental) verteilen sich über mehrere Kilometer. Auf dem Weg vom Hotel zu unserem ersten Ziel kommen wir durch gepflegte Wohngebiete mit Gartenstadtcharakter, die voller Betriebsamkeit sind. Die „Superquadras“ kann man sich als eine Art Luxusversion des deutschen Plattenbaus vorstellen. Sie messen knapp 300 Meter im Quadrat; vier von ihnen bilden jeweils eine Nachbarschaftseinheit mit gemeinsamer öffentlicher Infrastruktur samt grüner Inseln als Rückzugsort. Das Bild eines anonymen, retortenhaften Stadtlayouts, das Brasília immer noch anhaftet, können wir so nicht bestätigen. Wir erfahren auch, dass die Generation, die hier geboren ist (zum Teil ist es schon die zweite), Brasília durchaus als „ihre“ Stadt begreift und sich mit ihr identifiziert.
Allerdings sehen wir nur den Kernbereich der Stadt, der Bestandteil von Costas Masterplan und nach diesem benannt ist: Plano Piloto, eine Beamtenstadt mit 300.000 Menschen. Tatsächlich wächst Brasília aber seit seiner Gründung ungezügelt und planlos weiter. 90 Prozent der Bevölkerung, die keinen Platz in Plano Piloto ergattert haben, leben im 30-Kilometer-Umkreis in einer der aus dem Boden gestampften Satellitenstädte. Ihre Funktion ist es, Dienstleistungen für die Bürokratenelite im Zentrum zu erbringen – Soziologen sprechen von Segregation. Die Folge der Ausgrenzung an den Stadtrand: prekäre Lebensbedingungen, hohe Kriminalität und wuchernde, kaum kontrollierbare Favelas – all die Probleme, die man aus Städten wie Rio oder São Paulo lange kennt, wiederholen sich in Brasília.
Santuário Dom Bosco
Die von außen unscheinbare Kirche Santuário Dom Bosco liegt etwas abseits der Eixo Monumental außerhalb des Zentrums. Sie ist dem Schutzheiligen der Stadt gewidmet, dem italienischen Mönch Dom Bosco, der einst von einer utopischen Hauptstadt in der Neuen Welt träumte, und gilt als die Lieblingskirche der Einheimischen. Im Gegensatz zu den anderen Bauwerken, die wir besuchen, ist sie ausnahmsweise nicht von Oscar Niemeyer entworfen worden. Die Zwischenräume der 80 Betonpfeiler, die zu gotischen Spitzbögen auslaufen, sind mosaikartig mit Glasbausteinen aus Murano ausgefüllt. Das in zwölf Blautönen leuchtende Glas soll den Sternenhimmel symbolisieren und taucht die Kirche in ein sphärisches Licht mit geradezu spiritueller Wirkung, das kein Foto annähernd wiedergeben kann. Der gewaltige Kronleuchter ist ebenfalls aus über 7.000 Murano-Gläsern zusammengesetzt.
Palácio da Alvorada
Der „Palast der Morgenröte“, herrlich am Ufer des aufgestauten Lago Paranoá gelegen, ist die offizielle Residenz der amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei. Sie dürfte hier zur Zeit allerdings nicht besonders gut schlafen, denn es geht eine Protestwelle durchs Land – die Mehrheit der Bevölkerung fordert ihre Amtsenthebung wegen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise und insbesondere ihrer angeblichen Verwicklung in einen milliardenschweren Korruptionsskandal um den staatlichen Ölkonzern Petrobras.
Museu Nacional da República
Das nationale Kunstmuseum mit der auffälligen kreisförmigen Außenrampe ist das letzte Werk Niemeyers in Brasília und wurde erst 2006 zu seinem 99. Geburtstag in seinem Beisein feierlich eröffnet.
Catedral Metropolitana Nossa Senhora Aparecida
Mit ihren 16 bogenförmigen Säulen, den Bronzeskulpturen der vier Evangelisten, einer originalgetreuen Replik von Michelangelos Pietà und den Buntglasfenstern gehört die Kathedrale zu den künstlerischen Meisterleistungen Brasílias; manche halten sie für die schönste Kirche des Landes.
Östlich schließt sich das „Cockpit“ mit den interessantesten Regierungsgebäuden an.
Palácio da Justiça – Sitz des Justizministeriums
Palácio do Itamaraty und Büroturm der Abgeordneten
Der Palácio do Itamaraty, auch „Palast der Bögen“ genannt, ist der Sitz des Außenministeriums.
Palácio do Congresso Nacional
Dieser große Gebäudekomplex beherbergt den Nationalkongress mit seinen beiden Kammern. Die Sitzungssäle befinden sich in dem Flachbau; unter der Kuppel links tagt der Senat, unter der Schüssel rechts das Abgeordnetenhaus. Angeblich fielen in der Entwurfsphase bei einem Essen zwei Orangenhälften zu Boden; die eine mit der Schnittfläche nach oben, die andere nach unten. Dies soll Niemeyer zur Form der Dachschalen inspiriert haben. Ob wahr oder nicht, jedenfalls zeigen die konvex und konkav geschwungenen Linien der “fliegenden Untertassen” deutlich Niemeyers distanzierte Haltung gegenüber dem puristisch-rigiden Stil der Bauhaus-Architektur. Die Zwillingstürme im Hintergrund beherbergen die Abgeordnetenbüros.
Palácio do Planalto
Trotz seiner Ausmaße scheint der von der Präsidentengarde bewachte Dienstsitz der Regierungschefin, die zugleich Staatsoberhaupt ist, über dem Boden zu schweben. Die filigranen, sich nach oben verjüngenden Träger sind ein „Markenzeichen“ Niemeyers und wiederholen sich in abgewandelter Form an verschiedenen seiner Bauwerke. Diese Elemente sollen an indigene Gegenstände erinnern – sind also modern und traditionell zugleich.
Supremo Tribunal Federal – der Oberste Gerichtshof
Das Ensemble aus Nationalkongress, Präsidentenpalast und Oberstem Gerichtshof flankiert den – somit schlüssig benannten – Drei-Gewalten-Platz (Praça dos Três Poderes). Ein paar Stufen unter der Betonplatte des baum- und schattenlosen, ziemlich monoton wirkenden Platzes – definitiv kein Highlight unserer Besichtigungstour – besuchen wir den „Lúcio-Costa-Raum“ (Espaço Lúcio Costa). Dort sind neben einem gigantischen Stadtmodell historische Dokumente und Fotos ausgestellt. Zum Abschluss gönnen wir uns ein hervorragendes Essen im Fogo de Chão, wohl der Edel-Churrascaria in Brasília.
Eixo Monumental – kein Platz, sondern mit 250 Metern die breiteste Straße der Welt
Ob wir uns nun auch der „I ♥ Brasília“-Fangemeinde zurechnen, die in Scharen Selfies vor dem großen Schriftzug am Kopf der Eixo Monumental schießt? Meisterwerk der Stadtplanung oder Utopie zum Nutzen einer privilegierten Minderheit – wie immer man es sieht, unbestritten bleibt die herausragende Bedeutung und Ästhetik der Architektur.
Voller neuer Eindrücke, denken wir an diesem Tag an unseren Freund Franco Costa, und das hat folgende Bewandtnis: Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an ihn von unserer Schiffstaufe in Leer. Francos Bilder setzen unter Deck von „Alumni“ farben- und – seinem Wesen entsprechend – lebensfrohe Akzente, die wir nach wie vor sehr mögen.
Die Pointe ist, dass Franco uns anlässlich eines Besuchs in seinem römischen Atelier von seiner Assistenzzeit bei einem Onkel namens Lúcio erzählte, der in Brasilien als Architekt tätig gewesen sei. Da wir Brasília nur mit dem Namen von Oscar Niemeyer verbanden, haben wir damals die Bedeutung dieses Lebensabschnitts für Francos künstlerische Entwicklung nicht annähernd erfasst.
Als wir nun Franco von unserer Aufwartung an seiner alten Wirkungsstätte berichten wollen, erfahren wir, dass er vor drei Monaten verstorben ist. Wir sind ziemlich ruhig an diesem Abend und hängen unseren Erinnerungen an einen großen Künstler und vor allem liebenswerten, unprätentiösen und dabei so charismatischen Menschen nach. Mit dem Nachruf in der Segelzeitschrift „Yacht“ wird ihm ein würdiges Denkmal gesetzt:
Nachruf: Franco Costa geht auf die letzte Reise (yacht.de)
Unser Lieblingsbild im Salon hatte Franco übrigens ursprünglich für seine Frau Joshua gemalt; der Gedanke, dass das Bild an Bord eines Segelboots um die Welt reisen sollte, gefiel den beiden jedoch so gut, dass sie nach einiger Überlegung bereit waren, sich von ihm zu trennen.
4. Amazonas / Manaus
Unser nächstes Ziel ist das Regenwaldgebiet des Amazonas. Seit den 1970er Jahren wurden 15% der Amazonaswälder vernichtet; sie bedecken heute noch etwa die Hälfte Brasiliens. Wir fliegen drei Stunden bis Manaus, gut die halbe Zeit davon über einen dichten grünen Teppich, der von einem Flechtwerk von Wasserläufen durchzogen ist. Nach weiteren drei Stunden per Auto und Fähre erreichen wir die „Anavilhana Jungle Lodge“, 100 Kilometer (Luftlinie) stromaufwärts am Ufer des Rio Negro gelegen.
Auf dem Satellitenbild kann man gut erkennen, wie der von Nordwesten kommende „schwarze“ Rio Negro und der „braune“ Amazonas (der in Brasilien bis Manaus Rio Solimões heißt) mit seiner großen Sedimentfracht bei Manaus zusammentreffen. Man sieht auch, dass die beiden Flüsse noch etliche Kilometer nebeneinanderher fließen, bis sich das „schwarze“ und das „braune“ Wasser vermischen. Rund 1.700 Kilometer weiter östlich mündet der Amazonas in den Atlantik. Die transportierten Wassermassen sind 70-mal größer als die des Rheins; laut Seehandbuch schmeckt das Seewasser noch 100 Seemeilen von der Küste entfernt süß.
Durch das Nadelöhr bei Manaus bildet sich auf dem Rio Negro ein Rückstau. Der Fluss fächert sich auf eine Breite von über 20 Kilometer auf und formt eines der größten Flussinselarchipele der Welt, das Anavilhanas-Archipel – ein einzigartiges Ökosystem mit großer Artenvielfalt.
Wir beziehen unseren stilvollen Holzbungalow mitten im Urwald. Jetzt, am Ende der Regenzeit, umgeben riesige Wasserflächen unsere Lodge. Ausflüge finden üblicherweise per Boot statt. Etwa 200 vom Dschungel überwucherte Inseln auf einer Strecke von 90 Kilometern bilden ein nicht enden wollendes Labyrinth von schwimmenden Wäldern, Bächen und Kanälen.
Wir schlängeln uns durch die kleinen, verzweigten Seitenarme (igarapés) des Rio Negro. Zu dieser Jahreszeit können wir auch die Flusswälder (igapós) per Boot durchqueren. Tiere aus der Nähe gibt es derzeit nicht so viele zu beobachten – bei den herrschenden Wasserständen müssen sie entweder gute Schwimmer sein oder fliegen können. Andere bringen sich auf dem Dach des Regenwalds in Sicherheit oder finden – für uns unsichtbar – in der dichten Vegetation Unterschlupf. Zu den Tieren, die hier ihren natürlichen Lebensraum haben, die wir aber nicht sehen, gehören Jaguare, Tapire, Seekühe und Anakondas.
Bis Oktober, dem Ende der Trockenzeit, wird der Wasserspiegel um 12 bis 14 Meter sinken und sich das Landschaftsbild völlig verändern: Breite, weiße Sandstrände und noch einmal genauso viele Inseln, wie jetzt vorhanden sind, werden aus dem Wasser auftauchen. Auch Flora und Fauna unterliegen diesem Wandel und passen sich dem jährlichen Rhythmus von Hoch- und Niedrigwasser an.
Unser Programm schließt eine nächtliche Bootstour unter herrlichem Sternenhimmel ein. Das größte Tier, das der Lichtkegel unseres Handscheinwerfers an Land erfasst, ist ein Faultier, das über dem Ufer im Geäst abhängt und einfach viel zu träge ist, um sich unserem Blick zu entziehen. Dicht über der Wasseroberfläche reflektieren die Augen von Kaimanen das Scheinwerferlicht und leuchten wie glühende Kohlen.
Bei einen Bushwalk mit Survival-Training am nächsten Morgen lernen wir wichtige Dinge für den Dschungelalltag, zum Beispiel wie man aus Blättern ein Seil knüpft und damit bei Gefahr im Verzug auf einen Baum flüchtet oder einen Kranz flechtet.
Ebenfalls auf dem Programm steht die Zubereitung von Maden-Schaschlik, frisch gegrillt mit dem Feuerzeug – die Maden sind natürlich selbst gesammelt! Wir haben uns allerdings beide schlagartig zu einer veganen Diät entschlossen, deshalb entgeht uns leider dieser Genuss.
Deutlich amüsanter finden wir Piranha-Angeln. „Piranha“ kommt aus der Indianersprache und bedeutet „Fisch des Teufels“.
Interessant ist auch unser Besuch bei den rosa Flussdelfinen, die bei den Amazonasindianern als Boten der Wassergöttin gelten. Diese Delfine, die eigentlich Zahnwale sind, können 2 bis 2 1/2 Meter lang werden und sind als Jungtiere grau. Je älter sie werden, desto mehr setzt sich die rosa Farbe durch, da ihre Haut dünner wird und die Blutgefäße durchschimmern.
Auf der Weiterreise ins Pantanal übernachten wir in Manaus, der geheimnisumwobenen Stadt im Herzen des Amazonasurwalds. Unwillkürlich verknüpft man die Stadt mit dem Kautschukboom und Bildern sagenhaften Reichtums – einschließlich der dunklen Seiten wie Gier, Protz und Barbarei gegenüber den Ureinwohnern. Damals, Ende des 19. Jahrhunderts, war Manaus die wohl am weitesten entwickelte Stadt Brasiliens. „Paris der Tropen“ nannte man sie – nirgendwo sonst im Land gab es bereits elektrisches Licht oder ein Trink- und Abwassersystem. Es war eine kosmopolitische Stadt, in der sich Menschen aus aller Welt niederließen, darunter auch Glücksritter und allerlei skurrile Persönlichkeiten.
Von alledem ist heute wenig zu bemerken: Gesichtslose Wohnviertel und Industriegebiete prägen das Bild der 1,8 Millionen-Einwohner-Stadt. Schön ist jedoch das kleine historische Zentrum, bestehend aus ein paar restaurierten Straßenzügen um den Platz vorm Opernhaus – dem legendären „Teatro Amazonas“, Sinnbild der vergangenen rauschhaften Epoche. Leider können wir uns kein eigenes Bild von der verschwenderischen Innenausstattung mit den kostbarsten Materialien und Kunstgegenständen aus Übersee machen: Das Gebäude ist bei unserem Besuch am frühen Abend bereits geschlossen, jedoch mit der großen Kuppel und ihren glasierten, bunten Dachziegeln aus dem Elsass auch von außen imposant.
5. Pantanal
Gefühlt mitten in der Nacht geht unser Flieger nach Cuiabá, dem nördlichen „Eingangstor“ ins Pantanal im mittleren Westen Brasiliens. Das Pantanal, ein von flachen Hügelketten umgebenes Stück Erde etwa von der Größe der alten BRD, ist das größte Süßwasser-Überschwemmungsgebiet der Welt. An seinen Rändern reicht es bis in die westlichen Nachbarstaaten Bolivien und Paraguay hinein. Wenn während der Regenzeit von Oktober bis März die Niederschläge über den Rio Paraguai und zahlreiche andere Flüsse in das Pantanal-Becken abfließen, stehen rund zwei Drittel des Gebiets teilweise meterhoch unter Wasser. So entsteht ein komplexes System von Savannen, Sümpfen, Wasserflächen und Wäldern, deren Ausdehnung dem jährlichen Zyklus von Regen- und Trockenzeit unterliegt. Für die Tierbeobachtung ist das Pantanal ein Paradies: Mehr als 650 Vogel- und 80 Säugetierarten wurden gezählt. Viele von ihnen gibt es zwar auch im Amazonasgebiet, sind aber hier in der offenen Landschaft besser zu sehen als im Dickicht des Urwalds.
Unsere erste Station ist die komfortable Pousada do Rio Mutum, die wir am frühen Nachmittag erreichen. Das Pantanal ist Gaucho-Land – es gibt Fazendas und extensive Rinderzucht.
Kaum angekommen, geht es nach Gaucho-Art zu einem gut dreistündigen Ausritt aufs Pferd. Ein Vorteil der für uns ungewohnten Fortbewegungsart ist, dass uns die Wildtiere viel näher herankommen lassen als zu Fuß.
Wir sehen Wildpferde, Ameisenbären und Wasserschweine (Capybaras), die weltweit größten lebenden Nagetiere – eine Art Mega-Meerschweinchen. Wo Wasserschweine sind, liegt oft auch ein Brillenkaiman auf der Lauer – neben Jaguaren und Anakondas ihr größter natürlicher Feind.
Vor allem Vögel finden in der amphibischen Landschaft einen optimalen Lebensraum.
Schwarzmantel-Scherenschnäbel-Schwarm (oder – ohne „Zungenbrecher“ – auf Englisch: Black Skimmers)
Löffelreiher
Weißhalsibis
Südlicher Kiebitz
Der Riesenstorch Jabiru ist das Symboltier des Pantanal
Kaninchenkauz
Rotbrustfischer
Amazonasfischer
Am nächsten Tag erkunden wir die Gegend per Geländefahrzeug, zu Fuß und mit dem Boot. Unsere Führerin will uns Aras zeigen, die hier kein seltener Anblick sind – das Pantanal hat das größte Vorkommen von Hyazinth-Aras in Brasilien.
Gelbbrust-Aras
Hyazinth-Aras
Auf Vogelpirsch im Pantanal
Auch im Pantanal ist das Piranha-Angeln fester Programmpunkt jeder Kahnpartie
Von unserer Lodge geht die Fahrt weiter nach Süden. Hinter dem kleinen Ort Poconé beginnt die „Transpantaneira“, eine aufgeschüttete Piste mit mehr als 120 Holzbrücken in streckenweise abenteuerlichem Zustand, die nach jeder Regenzeit geflickt und an vielen Stellen neu befestigt werden muss.
Nach 145 Kilometern endet die Straße in Porto Jofre am Ufer des Rio Cuiabá, der die Grenze zum Bundesstaat Mato Grosso do Sul bildet. Wir befinden uns jetzt im Herzstück des Pantanal mit einem dichten Netz von Flüssen, die Namen tragen wie Rio Tres Irmãos, Rio São Lourenço oder Rio Piquiri und alle in den Rio Cuiabá münden. Touristisch ist das Gebiet wenig erschlossen. Wir teilen uns ein recht schlichtes Quartier mit einer Gruppe brasilianischer Angler, die sich weit vor Sonnenaufgang auf den Weg zum Fischen macht. Wir nehmen das gerne in Kauf, denn das Gebiet um Porto Jofre ist Jaguar-Land – nirgendwo sonst ist die Populationsdichte so hoch und sind die Tiere so groß und kräftig wie gerade hier. Jaguare sind zwar kleiner als Tiger und Löwen, haben aber von allen Großkatzen das stärkste Gebiss – ihre Beißkraft ist zweimal so hoch wie die von Löwen. Anders als andere Großkatzen töten sie ihre Beute wie Wasserschweine, Hirsche oder Kaimane häufig durch einen Biss in den Schädel. Der Name ist indigenen Ursprungs und bedeutet etwa „der Räuber, der seine Beute mit einem einzigen Sprung erlegt“.
Die dichte Vegetation reicht bis an die Flussufer heran, es gibt keine Zäune wie in einem Wildpark – eine Sichtung der scheuen Großkatzen, die ihre ausgedehnten Streifzüge hauptsächlich nachts unternehmen, ist somit tagsüber keineswegs sicher. Abdrücke der Tatzen oder das Gebrüll im Wald – mehr ist oft nicht drin. Am besten noch kann man Jaguare entlang der Flussläufe vom Boot aus beobachten, denn sie bevorzugen feuchte und ufernahe Lebensräume. Tatsächlich haben wir dort Glück! Wir sehen zwei herrliche Exemplare: ein Männchen und ein Weibchen, die für einige Minuten – zum Fotoshooting? – aus dem Dickicht heraustreten, an der Uferböschung kurz in die Sonne blinzeln, um sich dann wieder in das undurchdringliche Buschwerk zurückzuziehen – wahrscheinlich an ihren Ruheort, denn sie schlafen den größten Teil des Tages.
6. Südliches Amazonasgebiet
Letzte Station unserer Rundreise ist die Cristalino Jungle Lodge, etwa 800 Kilometer südlich von Manaus am Südrand des Amazonasgebiets gelegen. Bei dem gut einstündigen Flug von Cuiabá nach Alta Floresta überqueren wir den Bundesstaat Mato Grosso mit seinen eintönigen, bis an den Horizont reichenden Flächen des Sojaanbaus, die sich immer weiter nach Norden in das Amazonasgebiet hineinfressen. Nur wenige grüne Parzellen, deren Ränder wie mit dem Lineal gezogen wirken, wurden offenbar vom Kahlschlag ausgenommen. Schließlich nähern wir uns der Agrargrenze, an der das öde Gelbbraun der Monokultur unvermittelt in das satte Grün des Regenwalds übergeht. Wir wissen nicht, wofür die Axt und das Feuer im Wappen von Mato Grosso wirklich stehen, finden aber unsere eigene Deutung ziemlich plausibel: Bei Abholzung und Brandrodung des Urwalds steht dieser Bundesstaat in Brasilien ganz vorne. Übrigens, „Mato Grosso“ heißt „dichter Wald“…
Nach mehrstündiger Autofahrt erreichen wir unsere wunderschöne Dschungel-Lodge am Rio Cristalino. Sie liegt in einem privaten Naturreservat und wurde von „National Geographic“ als eine von zwei Lodgen in Südamerika und einzige Brasiliens für ihre Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Von der fortschreitenden Naturzerstörung bemerkt man hier nichts, obgleich die Ackerflächen aus drei Richtungen, stellenweise bis auf sechs Kilometer, an die Enklave herangerückt sind, wie „Google Earth“ beweist.
Eine besondere Attraktion sind zwei 50 Meter hohe Aussichtstürme, von deren Plattformen wir einen tollen Panoramablick über den Dschungel haben. Allerdings müssen wir uns erst daran gewöhnen, dass die Plattformen bei der kleinsten Bewegung, auch bei Windstille, heftig schwanken – und hoffen, dass die Masten und die sie im Lot haltenden, ziemlich dünn wirkenden Drähte so gut gewartet sind wie das Rigg von „Alumni“.
Besonders die bunten Aras haben es uns angetan, die hier in großen Schwärmen umherfliegen.
Die besten Leckerbissen gibt’s auf dem Dach des Dschungels.
Während des Abendessens im offenen Dschungel-Restaurant kommt plötzlich ein Gürteltier vorbei – dummerweise haben wir keinen Fotoapparat dabei. Der ist jedoch einsatzbereit, als bei einer Bootsfahrt am nächsten Tag ein Tapir unseren Kurs kreuzt und an der Uferböschung Unterschlupf sucht. Es handelt sich um einen Flachlandtapir, das größte Säugetier Südamerikas. Wir freuen uns über die seltene Begegnung, denn Tapire sind eigentlich nachtaktiv, scheu und ungesellig – in ihren natürlichen Lebensräumen gibt es höchstens ein Tier pro Quadratkilometer. Die Pflanzenfresser sehen aus wie hochbeinige Schweine, sind aber verwandt mit Nashorn und Pferd.
Wir sehen einen Kappenreiher, nur ein Tucan lässt sich bis zuletzt nicht blicken.
Am 26. Juni heißt es Abschied nehmen. Wir fliegen von Alta Floresta über Cuiabá nach Rio, von dort geht es mit dem Überlandbus nach Angra dos Reis und zurück an Bord. Ein kurzes Resümee unserer Tour: Brasilien ist ein tolles Reiseland, das die Mühen der langen Anreisen auf jeden Fall wert ist. Alle Superlative und Übertreibungen, von denen man gehört oder gelesen hat, erweisen sich meistens als wahr – vielleicht gerade deshalb zieht das Land jeden Besucher unweigerlich in seinen Bann.
Es bleiben uns drei Tage, um „Alumni“ für unsere Abwesenheit vorzubereiten: Von Juli bis einschließlich November sind wir in Deutschland, bevor es weiter nach Süden geht – Ziel: Kap Hoorn.
Doch das ist ein anderer Bericht.